Chaos in den Finanzmärkten

Ich habe vor ein paar Wochen das Buch Die Entdeckung des Chaos: Eine Reise durch die Chaos-Theorie von John Briggs fertig gelesen. Briggs schreibt hier über die Ergebnisse der sogenannten Chaostheorie (einem Teil der Mathematik). Das Interessante ist, dass die Chaostheorie auf sehr vieles angewendet werden kann, z.B.

  • das Wetter
  • Turbulenzen in Gebirgsbächen
  • rotierende Flüssigkeiten
  • Tierpopulationen

Merkwürdigerweise übrigens auch auf unser Planetensystem, wie der französische Mathematiker Henri Poincare Ende des 19. Jahrhunderts zu seiner Bestürzung feststellte (Stichwort „Drei-Körper-Problem„).

Nicht besonders erstaunlich ist, dass die Chaostheorie natürlich auch auf die Finanzmärkte anwendbar ist. Im Folgenden will ich anhand eines Populationsbeispiels Aspekte der Chaostheorie darstellen, was man, wie ich meine, sehr gut auf die Finanzmärkte übertragen kann …

Ich beziehe mich im folgenden auf das Modell einer Falter-Population, wie es von John Briggs in seinem Buch geschildert wird (S. 75):

„Nehmen wir an, dass jedes Jahr etwa der gleiche Prozentsatz von Eiern schlüpft und überlebt. Dann hängt dieses Jahr die Größe der Larvenkolonie davon ab, wieviele Larven sich im letzten Jahr verpuppten, in Falter verwandelten und dann eier legten. Nehmen wir an, die Größe unserer Kolonie beträgt 100 Falter und die Kolonie verdoppelt sich jedes Jahr. Wenn im zweiten Jahr die Größe 200 beträgt, so wird sie im folgendne Jahr 400 sein. …

Es ist ganz einfach, eine allgemeine Formel anzugeben, die es erlaubt, die Population eines Jahres aus der des vergangenen Jahres auszurechnen …

Wenn wir die Geburtenrate B nennen, dann ist jede Kolonie in diesem Jahr B-mal größer als im vorigen Jahr. In unserem Beispiel … nahmen wir B = 2 an …

Im Jahre 1845 führte P.F. Verhulst, ein Wissenschaftlicher, der sich für die Mathematik des Populationswachstums itneressierte, ein neues Glied in die Gleichung ein, um zu beschreiben, wie sich eine Population in einem abgeschlossen Gebiet entwickelt. …

Im wesentlichen wird die Populationsgröße durch dein Zahl dargestellt, die zwischen 0% und 100% variieren kann. X_n = 100% stellt die größtmögliche Population dar, X_n = 50% den halben Wert…“

An dieser Stelle kommt es mir nicht so sehr darauf an, wie ganau die Formel lautet, auf die John Briggs hinaus will  (für die mathematisch Interessierten: Sie lautet X_(n+1) = B * X_n * (X_n  -1) ).

Interessant ist vielmehr, sich die grafischen Darstellungen dieser Formel, je nachdem welchen Wert für B man annimmt, anzusehen.

Geburtenrate B=0,99

Ist die Geburtenrate geringfügig kleiner als 1, dann geht die Population langfristig gegen 0%. In der Sprache de Mathematik nennt man in diesem Fall 0% einen Attraktor.

Geburtenrate B=0,1,5

Bei einer Geburtenrate von 1,5 pendelt sich die Population schnell bei 33,3% ein. In diesem Fall ist 33,3% der Attraktor:

Geburtenrate B=2,9

Bei 2,9 pendelt die Population erst eine Zeitlang hin und her, bis Sie sich dem Wert 65% allmächlich annähert:

Geburtenrate B=3,2

Bei 3,2 passiert schon etwas Seltsames. Die Population pendelt bis in alle Zeiten zwischen den Werten 50% und 80% hin und her:

Geburtenrate B=3,5

Geburtenrate B=3,7

Bei einer Geburtenrate von 3,7 pendelt bis in alle Ewigkeit die Population hin und her. Es ergibt sich schon ein chaotisch anmutendes Muster:

Geburtenrate B=3,95

Bei einer Geburtenrate von 3,95 pendelt die Population scheinbar vollkommen regellos hin und her:

Geburtenrate B=3,99

Hier noch die Populationsentwicklung bei einer Geburtenrate von 3,99:

Fazit

Wenn man sich vorgehenden Populationsentwicklungen ansieht, dann muss man feststellen, dass sie jeweils einen vollkommen unterschiedlichen Charakter haben, je nachdem mit welcher Geburtenrate man startet. Das für sich genommen ist schon einmal sehr interessant. Denn eine Analogie zu ökonomischen Modellen liegt auf der Hand. Auch hier werden die aktuellen Zahlen durch die Werte der Vorperiode beeinflusst. Und auch hier arbeitet man mit Faktoren.

Es spielt aber offenbar eine erhebliche Rolle, ob man nun mit dem Faktor 3,5 oder 3,7 arbeitet. Je nachdem gelangt man zu vollkommen anderen Ergebnissen.

Interessant ist aber auch, dass die Entwicklung besipielsweise beim Faktor 3,99 bereits chaotisch ist. Das heißt: Ohne Kenntnis der Formel könnte man rein anhand des Charts nicht voraussagen, wie es weitergeht. Der letzte Wert im Jahre 50 ist z.B. 70,45%.

Wer könnte auf der Basis der Grafik voraussagen, wo die Population im Jahre 51 sein wird. Wird sie fallen oder steigen? Sehen Sie sich einmal den Chart an. Welches Gefühl haben Sie? Wenn Sie wollen, können Sie mir Ihre Vermutung unten als Kommentar schreiben.

Aber genau das ist das Problem in wirtschaftlichen Zusammenhängen. Es ist unglaublich schwer, wenn nicht unmöglich, aufgrund der jetzigen Datenlage Aussagen über künftige Entwicklungen zu machen. Wenn das schon bei einem so einfachen Populationsmodell zu Schwierigkeiten führt, dann doch noch viel mehr im Bereich unserer hochkomplexen Wirtschaft. Wirtschaft und Kapitalmärkte sind – das scheint mir klar – chaotische Systeme. Und hier Voraussagen machen zu wollen, erscheint mir als ein ziemlich sinnloses Untefangen.

Weitere Literatur zum Thema:

5 Kommentare
  1. TÜLAI
    TÜLAI sagte:

    http://www.nzz.ch/nachrichten/hintergrund/wissenschaft/alle_anderen_sind_dumm_1.6529130.html

    In einem NZZ-Interview bezieht sich Erwin Heri (zumindest punktuell) zustimmend auf Nassim Taleb. Warum seiner Auffassung nach jedoch Börsenentwicklungen über Zeiträume von fünf, bzw. zehn bzw. fünfzehn Jahre besser prognostizierbar sein sollen als kurzfristige, bleibt für mich fragwürdig:

    http://www.nzz.ch/finanzen/impulse?video=1.8598704

    In den Sozialwissenschaften ist es allerdings in der Tat manchmal so, dass sich langfristige, große Entwicklungen quantitativ viel besser vorausberechnen lassen als kurzfristige und lokale.

    Viele Grüße
    TÜLAI

    Antworten
    • Peterreins
      Peterreins sagte:

      Warum scheinen langfristig ausgerichtete Prognosen treffender zu sein als kurzfristige?

      1. Weil sie meistens vage formuliert sind, nach dem Motto: „In 5 bis 10 Jahren ist das und das der Fall.“ Wenn das dann nicht im Jahr 5 eintritt, dann hat man ja noch das Jahr 6, 8, 9 oder 10, bei dem sich die Prognose bewahrheiten könnte. Exakt so arbeiten die meisten Crash-Propheten.
      Ich könnte z.B. auch sagen: „Langfristig sehe ich den DAX bei 15.000 Punkten.“ Naja, es ist nicht so wahnsinnig erstaunlich, wenn der DAX diese Marke innerhalb der nächsten 20 Jahre einmal schafft.

      Man vergleiche diese eben genannten Aussagen mit einer Aussage der Form „Am 31.12.2020 sehe ich den DAX bei 16.550 Punkten.“ Da wäre ich mal gesprannt ob, solche Aussagen treffsicherer wären als entsprechend kurzfrisitg formulierten Aussagen wie „Am 30.06.2011 sehe ich den DAX bei 7.800 Punkten.“ Ich wette sogar, dass die Fehlerstreuung umso höher, ist je weiter die Prognose in die Zukunft reicht – natürlich sofern man die Prognose sauber. und nicht wischiwaschi, formuliert.

      2. Je weiter eine Prognose in die Zukunft reicht, umso wahrscheinlicher wird sie vergessen. In der Regel kramt man sowieso nur jene in der Vergangenheit getroffenen Prognosen heraus, die zutreffend waren. „Schau mal, ich habe bereits im März 2000 gesagt, dass das ein schwieriges Jahrzehnt für Aktien werden wird.“ Dass dieselbe Person gleichzeitig auch der Meinung war, dass Gold weiterhin vor sich hindümpeln wird, oder dass die große Zukunft im US-Imobilienmarkt liegt, – all sowas wird gerne verschwiegen. Ist auch nur zu menschlich. Wer will hier Vorwürfe machen?

      Langfristig formulierte Prognosen sind also – meiner Meinung nach – auch deswegen besser, weil die ganzen Fehlprognosen munter verdrängt oder vergessen werden.

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  2. TÜLAI
    TÜLAI sagte:

    Ohne mit Börsenspekulanten Kontakt zu haben, mutmaße ich, dass sie gar keine stichtags- und punktgenauen Prognosen liefern wollen und es darum nicht tun.
    Zumindest trauen sie sich hinreichend zutreffende Einschätzungen von Trends zu, um den Finanzmärkten Gewinne entnehmen zu können.

    So wie Soziologen behaupten, dass weltweit die großen Metropolen in den kommenden 50 Jahren weiter ein kräftiges Bevölkerungswachstum aufweisen werden. Mit dieser Trendprognose sind gegenläufige, lokale Entwicklungen vereinbar. Zum Beispiel könnten Mexiko City und Tokio, beide erbebengefährdet, stagnieren oder aber schrumpfen.

    Berufsspekulanten sind wahrscheinlich professionell genug, den Fall unerwarteten Trendendes bzw. unerwarteter Trendumkehr mit Stop Loss-Setzungen oder feineren Instrumenten (kombinierte Long-Short-Positionen) irgendwie abzusichern.

    Warum angeblich trotzdem regelmäßig zahlreiche Eigenhändler von Banken wegen zu hoher Verluste entlassen werden, weiß ich nicht.

    Antworten
    • Peterreins
      Peterreins sagte:

      Man kann fröhlich spekulieren, was Berufsspekulanten so tun und treiben. Das Beste ist ja: Keiner kennt sie. Im Zweifel sind sie aber für alles mögliche Schlechte in der Welt verantwortlich. Als vor ein paar Jahren Bankaktien stark gefallen sind, waren es die bösen Spekulanten (OK, da war auch noch so was wie eine Finanzkrise, aber zunächst wurden die Spekulanten dafür verantwortlich gemacht). Dann kam der Euro unter Druck, weil die bösen Sepkulanten sich gegen die Gemeinschaftswährung verschworen hätten. Als dann die Staatsanleihen einzelner Staaten kräftig fielen, wer war daran Schuld? Natürlich die Spekulanten.

      Wenn man aber jemanden fragt: Kennst du einen von diesen Spekulanten? Dann lautet die Antwort: Nein, aber man kann doch davon in der Zeitung oder im Internet lesen. (Oje, oje, oje).

      OK, ich gebe zu, die Antwort auf Ihren Kommentar ein wenig verfehlt zu haben. Der Punkt ist aber: Man kann wohl kaum sagen: „Das und das genau tun Spekulanten, Hedgefonds oder Eigenhändler der Banken“. Wie genau diese Leute vorgehen, ändert sich stark von Person zu Person. Genauso könnte man fragen: „Wie genau spielen denn Schach-Profis?“ – Jeder geht anders vor, hat seinen eigenen Stil.

      Gemeinhin stellen sich die Leute auch das, was – sagen wir ein – Eigenhändler einer Bank tut, zu leicht vor. Nach dem Motto: Man sitzt vor ein paar Bildschirmen, beobachtet die Kurse, und hoppla: man erkennt (wie durch göttliche Eingebung) einen Trend, der dann sicher zu einem Gewinn führt. Tatsächlich ist der Job wahnsinnig nervenaufreibend und die Erfolgselebnisse und Niederlagen halten sich faktisch ungefähr die Waage. Psychologisch ist es aber so, dass jede Niederlage um vieles mehr zu Buche schlägt als eion entsprechendes Erfolgserlebnis. Daher verschleißen sich aktive Spekulanten in der Regel sehr schnell. Es sei denn, sie führen einfach nur die Signale eines Computersystems aus. Dann liegt die Verantwortung nämlich nicht mehr bei ihnen selbst, sondern bei den Programmierern des Systems.

      Und was die langfristigen Prognosen der Soziologen betrifft. Man kann ja mal behaupten was man will. Ob das dann aber auch eintritt, ist eine andere Frage. Das Unvorhersehbare, Nicht-Berechenbare, Nicht-Extrapolierbare hat schon immer eine zu große Rolle gespielt. Was denn, wenn beispielsweise eine große Epidemie, die Bevölkerung darstisch reduziert? Oder ein katastrophales Naturereignis? Oder wenn plötzlich andere Landwirtschaftsmethoden plötzlich wieder den Einsatz von mehr Menschen auf dem Land notwendig macht? Oder wir durch technische Weiterentwicklungen (Stichwort Internet) nicht mehr Menschen auf einem Ort ballen müssen, sondern dass Leute gut zusammenarbeiten können, obwohl sie sehr weit voneinander entfernt sind? Etc. Etc.

      Ich jedenfalls lache mich regelmäßig kaputt über solche Zukunftsprognosen. Erinnern Sie sich noch an die Prognosen, die so vor 30 Jahren umliefen? Beispielsweise das Waldsterben? Beispielsweise, dass ein Atomkrieg zwischen den USA und der UdSSR unausweichlich ist?

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  3. TÜLAI
    TÜLAI sagte:

    Der produzierenden Wirtschaft verdanken wir innovative Produkte wie den Saugblaser Heinzelmann HM22. Der Verkaufspreis dient als Recheneinheit, um Güter vergleichbar zu machen. Geld vereinfacht als universelles Tauschmittel den Produkthandel.
    ( http://www.youtube.com/watch?v=aAOPXPYKC6U&feature=related )

    Zur Dienstleistungswirtschaft zählen Tätigkeiten wie die Kundenbetreuung im Außendienst für Pahlhuber & Söhne. Hier ist der Mitarbeiterlohn Entgelt für die erbrachte qualifizierte Beratungs- und Betreuungsleistung durch Bezirksdirektor Bumsköter.
    ( http://www.youtube.com/watch?v=bHKW0ybNhUQ&feature=related )

    Im Gegensatz dazu sind bei der Börsenspekulation die momentanen Preisbewertungen der Wertpapiere selber das einzige gehandelte Wirtschaftsgut. Geld ist sowohl das gehandelte Produkt als auch Recheneinheit und Handelspreis dieses Produktes. Bei der Börsenspekulation geht es um nichts anderes außerhalb von Geld. Ich vermute, dass viele Vorbehalte und Ablehnung der Börsenspekulation daher rühren. Es werden weder Produkte noch Dienstleistungen erzeugt, sondern es wird auf eine Änderung von Preisbewertungen spekuliert.

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