England und der Goldstandard in den 1920er Jahren
So mancher behauptet ja, dass einer der Fehler unseres heutigen Geldsystems darin besteht, dass wir den sog. Goldstandard nicht mehr haben. In früheren Zeiten waren Währungen an Gold gebunden. Man konnte damals nicht beliebig „Geld drucken“, vielmehr war die Geldmenge begrenzt durch die Goldreserven der entsprechenden Zentralbank.
Gerade während der aktuellen Krise gab es einige, die dafür plädierten, den Goldstandard wieder einzuführen. Mit ihm, so die Behauptung, würde es weniger Finanzkrisen geben.
Dass diese Behauptung falsch ist, sieht man schon daran, dass das ganze 19. Jahrhundert (also in einer Zeit, in der der Goldstandard galt) voll war mit schweren Finanzkrisen. Sehr interessant fand ich aber auch das, was ich in dem Buch „Die Herren des Geldes“ von Liaquat Ahamed gelesen habe …
Liaquat Ahamed beschreibt, wie die europäischen Nationen während des Ersten Weltkrieges den Goldstandard abschafften. Anders hätten sie damals den Krieg nicht finanzieren können. Sobald der Krieg vorbei war, strebten die verantwortlichen Notenbanker danach, schnellstmöglich wieder zum Goldstandard zurückzukehren. Zwei Dinge jedoch erschwerten es den europäischen Nationen, diesen Schritt zu tun:
- Die extrem schwierige wirtschaftliche Situation unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg.
- Die Tatsache, dass während des Krieges sehr viel Gold aus Europa in die USA abgeflossen ist.
Dei USA waren nämlich der eigentliche Kriegsgewinnler. England und Frankreich kauften während des Krieges fleißig in Amerika ein, was dort zu einem Wirtschaftsboom führte. Außerdem benötigten England und Frankreich Geld und verschuldeten sich bei den Amerikanern. In diesem Zusammenhang schreibt Ahamed (S. 181):
„Das Problem, den Goldstandard wieder einzuführen, war viel tiefgreifender als neue Wechselkurse wichtiger Währugnen zu bestimmen. Denn der Krieg hatte zu einer derartigen tektonischen Verschiebung bei der Verteilung der Goldreserven gesorgt, dass sie die Lebensfähigkeit eines monetären Systems bedrohte, das auf Gold basierte.
Vor dem Krieg hatten die vier größten Volkswirtschaften – die USA, Großbritannien, Deutschland und Frankreich – ihre monetären Sytememit Gold im Gesamtwert von etwa fünf Milliarden Dollar geeregelt. Im Krieg wurde nur wenig neues Gold gefördert, und bis 1923 war der Wert des monetären Goldes nur auf sechs Milliarden Dollar gestiegen. Die Preise in den USA und Großbritannien lagen allerdings trotz Deflation … noch immer um 50 Prozent höher als vor dem Krieg. Das bedeutete, dass die reale Kaufkraft der Goldreserven um fast 25 Prozent gesunken war [meine Hervorhebung].“
Dennoch wollten die Engländer ihr britisches Pfund wieder zu altem Ansehen verhelfen und meinten, dass das nur durch die Wiedereinführung des Goldstandards geschehen könne. 1924 wurde Winston Churchill zum Finanzminister ernannt. Der damalige britische Notenbankchef war Montagu Norman. Norman drängte darauf, so schnell wie möglich den Goldstandard wieder einzuführen. Churchill hingegen war sich unsicher, er war hin und her gerissen. Immerhin gab es einige Fachleute damals, die vor einer Wiedereinführung des Goldstandards warnten.
Beispielsweise sagte Lord Beaverbrook, Herausgeber der Zeitung Daily Express:
„Es ist eine absurde und verrückte Meinung, dass die internationale Kreditvergabe durch die Goldmenge begrenzt sein muss, die aus der Erde gegraben wird. Hat es unter intelligenten und vernünftigen Menschen jemals einen derartien Quatsch gegeben?“
Auch der berühmte Ökonom John Maynard Keynes war strikt gegen die Wiedereinfürhung des Goldstandards. Keynes schrieb 1925:
„Die Partei des Goldstandards hatte einiges zu bieten, das nicht nur respektabel, sondern auch des Respekts wert war. Der Geisteszustand, in dem man sich gern an die alten Vorgehensweisen hält, ohne groß auf Vergnügen oder Schmerz zu achten … ist nicht zu verachten. Wie viele andere Orthodoxien steht er für das, was geistlos und intellektuell unfruchtbar ist; und da es die Vorurteile auf seiner Seite hat, kann es ungestraft Unsinn verbreiten.“
Keynes warnte davor, dass die Wiedereinführung des Goldstandards in Großbritannien zu einem starken wirtschaftlichen Niedergang führen würde. So schrieb er:
„Der richtie Einsatzzweck teuren Geldes ist die Dämpfung eines beginnenden Booms. Wehe denen, deren Glaube sie dazu verleitet, mit teurem Geld eine Depression zu verschlimmern!“
Nach langem zweifelndemHin und Her entschied sich Finanzminister Churchill im April 1925 schließlich dafür, den Goldstandard wieder einzuführen. Die britische Finanzwelt jubilierte, das britische Pfund stieg – und ein Großteil der britischen Kohle-, Stahl- und Schiffbauindustrie stand vor dem Bankrott. Die Unternehmen mussten Löhne kürzen, Arbeitszeiten wurden verlägnert, Arbeiter wurden entlassen. Die wirtschaftliche Situation Großbritanniens wurde immer schlimmer, so dass es in 1926 zu landesweiten Generalstreiks kam.
Liaquat Ahamed schreibt auf Seite 266:
„Die Rückkehr zm Goldstandard erwies sich als kostspieliger Fehler. Da das von den hohen Zinsen angelockte Geld spekulativ und ‚heiß‘ war und keine Quelle dauerhafter Investitionen, war es eine ständige Bedrohnung, die wie ein Damoklesschwert über der Währung hing. Für den Rest des Jahrzehnts mussten die Zinsen deutlich höher als in anderen Ländern gehalten werden, um einen Rückfluss des Kapitals zu verhindern. Da die Preise um etwa fünf Proeznt jährlich sanken, war die Zinslast für Schuldner eine schwere Bürde. Gleichzeitig schleppte sich die britische Industrie in den folgenden Jahren unter Qualen dahin, weil sie auf den Weltmärkten durch hohe Preise benachteiligt war, während die Industrie anderswo auf der Welt boomte.“
Man kann sogar sagen, dass das Ende Großbritanniens als bedeutende Industrienation in den 1920er Jahren durch die Wiedereinführung des Goldstandards eigneläutet wurde. Davon hat sich Großbritannien letztlich bis heute nicht erholt. Umso erstaunlicher ist es, wenn manche Leute heute den Goldstandard als Heilmittel gegen wirtschaftliche Krisen bezeichnen. Eher das Gegenteil ist der Fall, wenn man in die Geschicht sieht.
Auch Winston Churchill erkannte schnell seinen Fehler. Ahamed schreibt:
„Obowohl Churchill bis 1929 Finanzminister bleiben sollte, hatte er schon 1927 bemerkt, dass die Rückkehr zum Goldstandard … eine Fehlentscheidung war. Nun konnte er aber nicht mehr viel tun, außer sich privat über die üblen Auswirkungen des Goldstandars aufzuregen. In späteren Jahren sagte er, dies sei ‚der größte Fehler seines Lebens‘ gewesen.“
Nicht die Rückkehr zum Goldstandard an sich war der Fehler Churchills, sondern die zu hohe Bewertung des Pfunds gegenüber Gold. Dies führte zur verheerenden Deflation in den kommenden Jahren.
Ursache für die Beibehaltung eines europäischen Goldstandards im 19.Jahrhundert war die Einführung der „Assignaten“ – Währung in Frankreich, die zu einer kompletten Vermögensvernichtung führte.
In Deutschland hat seit 1872 bis 1914 ein veritabler Aufschwung bei stabilen Preisen trotz Goldbindung die Wirtschaft beflügelt.
Naja, die Assignaten-Währung war ein Versuch der Französischen Revolutionsregierung 1789, die wirtschaftliche Krise in Folge der Revolution in den Griff zu bekommen, bzw. sich zu finanzieren. Immerhin hatte die Monarchie komplett leere Staatskassen hinterlassen. Dieses Assignaten-Geld war tatsächlich Papiergeld, aber immerhin durch Landbesitz besichert (bzw. sollte durch Landbesitz besichert sein). Und zwar hatte das Revolutionsregime Kirchengüter verstaatlicht, um die enormen Schulden begleichen zu können. Es war aber nicht zu hoffen, dass diese Immobilien schnell liquide gemacht werden konnten. so kam die Idee der Assignaten, also Papiergeld, das durch die enteigneten Kirchengüter besichert sein sollten. Da diese Immobilien aber auch in den unmittelbar folgenden Kriegsjahren im Prinzip unverkäuflich waren, verlor die Bevölkerung das Vertrauen in diese Währung, so dass diese Währung tatsächlich am Ende komplett wertlos wurde.
Eine kleine historische Bemerkung dazu. Als es 1923 in Deutschland zur Hyperinflation kam, versuchte man zunächst durch eine Golddeckung die Währung zu stabilisieren, was aber scheiterte. Der damalige Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht kam dann im Oktober 1923 auf die Idee, die sogenannte Rentenmark einzuführen. Diese Währung war besichert durch Immobilien/Grundbesitz aus Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe. Die Rentenmark war insofern eine ganz ähnliche Konstruktion wie die französische Assignatenwährung in den 1790er-Jahren. Beidemale wurden Immobilien zur Besicherung hergenommen. Und beidemale handelte es sich um Immobilien, die letztlich nicht zum Verkauf standen. Merkwürdigerweise hat es im damaligen Frankreich nicht geklappt, im Deutschland der 1920er-Jahre aber schon. Denn mit der Einführung der Rentenmark wurde die Inflation damals überwunden.
Eine Lehre daraus ist: Wirtschaftliche Zusammenhänge funktionieren nie nach dem Schema „aus A folgt B“.
Aber zu behaupten, dass die Assignaten-Währung eine bloße Papierwährung ohne jegliche Besicherung durch Sachwerte darstellte, zeigt einfach nur mangelhafte historische Kenntnisse. Weil es so einfach nicht war. Und dass eine solche Konstruktion notwendigerweise zu Geldentwertung führen muss, stimmt ja offensichtlich auch nicht, wie das Rentenmark-Beispiel zeigt.
Und noch etwas. Frankreich hat dann zusammen mit anderen Ländern erst 1865 die sogenannte Lateinische Währungsunion gegründet. Das war ein gemischter Gold-/Silber-Standard. Aber es kann keine Rede davon sein. dass diese Währungsunion aus der unmittelbaren Erfahrung der gescheiterten Assignatenwährung entstanden wäre. Auch hier wieder (leider) historisch fehlerhafte Aussagen.
Aber die Krönung der fehlerhaften Aussagen ist natürlich die Behauptung, dass Deutschland von 1872 bis 1914 einen „veritablen Aufschwung“ erlebt habe. Nur ein andeutungsweiser, minimaler Blick in ein Geschichtsbuch kann einem belehren, dass Deutschland 1873 eine enorme und massive Wirtschaftskrise durchlebte, – und das exakt zwei Jahre nachdem der Goldstandard 1871 in Deutschland eingeführt worden ist. Es gibt Historiker, die hier sogar einen Zusammenhang sehen. Dass nämlich die Einführung des Goldstandards verantwortlich war für die Krise ab 1873.
Dass der Goldstandard definitiv die Wirtschaftskrise in den 1930er-Jahren verstärkt hat, ist die Kernaussage des Buches Buches von Liaquat Ahamad: „Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaft auslösten und die Welt in den Bankrott trieben.“
Mein Wunsch wäre, dass, bevor man historische Behauptungen aufstellen, sich vorher gründlich informiert. Oder eben bitte es mit dem guten alten Sokrates hält, der bekanntlich sagte: „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“ Wenn man etwas nicht wirklich weiß, dann ist es besser zu schweigen.