Moralischer Anspruch kann wirtschaftliche Nachteile mit sich bringen
Der Weblog-Lesers TÜLAI hat in seinem letzten Kommentar (Link dorthin) hat von Menschen geschrieben, die
„sich sehr abschinden, um ihre eigenen moralischen Standards zu erfüllen. Oft sind es stille Personen, die von sich aus niemals ihre Moralität ansprechen und sich ihrer schon gar nicht brüsten. Mutmaßlich könnte es daher deutlich mehr solche Personen gehen. Häufiger verzichten sie wissentlich auf Chancen im Leben, indem sie ihrem eigenen Handeln Schranken auferlegen. Wenn ich zufällig von ihnen erfahren, erfüllen sie mich mit einer beschämten Traurigkeit, weil ich denke, dass sie im Leben mehr und Besseres verdient hätten, als sie erhalten“
Wahrscheinlich bin ich selbst kein solcher „stiller Mensch“, der traurig nach seinen moralischen Standards strebt und dabei auf beruflichen erfolg verzichtet. Dennoch hat mich dieses Abschnitt angeregt, eine kleine Anekdote aus meinem Leben als Vermögensverwalter zu erzählen…
Herr S. war ein älterer Herr und seit einiger Zeit mein Kunde. Er kannte sich sehr gut mit Geldanlage-Themen aus, las sehr viel. Sowohl Finanz-Fachzeitschriften als auch alle möglichen Zeitungen. Insgesamt hatte er etwa 1,5 Mio Euro meiner Vermögensverwaltung anvertraut. Das Besondere bei Herrn S. war aber, dass er über enorme Kontakte verfügte. Immer wieder stellte er mir in Aussicht, mich an den oder jenen Neukunden empfehlen zu wollen. Immerhin schwärmt er von mir (und vor mir) in den höchsten Tönen.
Regelmäßig rief er mich an, um mit mir Geldanlage-Themen zu diskutieren. Immer wieder war er voll der Lobs für meine Art zu denken, meine Arbeit, meinen Service und meine Anlagestrategien. Mir selbst war dieses – meinem Empfinden nach- übertriebene Lob häufig sogar peinlich.
Eines Tages rief er mich an, weil er mich mit Frau B. bekannt machen wollte. Frau B. war eine alleinstehende Mutter mit zwei Töchtern und in finanziellen Dingen vollständig hilflos. Von Ihrem Vater hatte sie vor etwas 10 Jarhen ein größeres Vermögen geerbt. Da Herr S. ein guter Freund ihres Vaters war und Herr S. sich ja mit Geldanlage-Themen gut auskannte, vertraute sie ihm. Damals vor 10 Jahren riet ihr Herr S. zu einem bestimmten renommierten Vermögensverwalter zu gehen. Inzwischen waren sowohl Frau B. als auch Herr S. komplett unzufrieden mit diesem Vermögensverwalter. Er hatte die vergangenen 10 Jahre stark unterdurchschnittlich gearbeitet. Auch der Service und Kundenbetreuung waren katastrophal.
Aus verschiedenen Gründen sollte das Gespräch aber erst in ein paar Monate stattfinden. Inzwischen sollte ich aber schon einmal zwei Depots für die Töchter von Frau B. einrichten. Das tat ich, erledigteden ganze Formkram und gab den Töchtern die besten Konditionen, die ich als Vermgensverwalter geben kann. Prompt wurde das Geld der Töchter auch überwiesen und ich legte das Geld an.
Noch aber stand das Gespräch mit Frau B. aus, obwohl jetzt auch schon ihre Töchter Kundinnen von mir waren. Dieses Gespräch zögerte sich immer mehr hinaus. Ich erfuhr, dass Frau B. sich – auf Empfehlung von Herrn S. hin – zuvor noch einen anderen Vermögensverwalter ansehen würde.
Schließlich kam es doch zu dem Treffen. In diesem ersten Gespräch mit Frau B. war neben Herrn S. auch die Steuerberaterin von Frau B. mit dabei. Nach dem Gespräch waren alle drei, und vor allem die beiden Damen regelrecht begeistert von mir.
Ich wusste ja, dass sie sich noch einen anderen Vermögensverwalter angesehen hatten. Die beiden Damen sprachen offen darüber, dass sie mich und meine Anlagekonzepte für viel überzeugender hielten. Wir diskutierten auch ein wenig den Anlagevorschlag des anderen Vermögensverwalters. Er schlug unter anderem Hedgefonds und offene Immobilienfonds vor. Zum Thema Hedgefonds sagte ich ihr, dass sie in ihrer Situation diese Art von Risiken nicht bräuchte. Und vor offenen Immobilienfonds hatte ich schon lange gewarnt, weil die Bewertungspraxis hier zu intransparent ist.
Ich ging also nach Hause und vielleicht zwei Tage nach dem Gespräch rief mich Herr S. an. Er fragte mich wörtlich, „was für ihn dabei rausspringen würde“. Ich fragte nach, was er damit meinen würde. Und was meinte er? Er wollte eine Vermittlungsprovision haben, und zwar eine üppige. Nun war mein Problem, dass ich Frau B. natürlich dieselbe Konditionen wir ihren Töchtern geben musste. Und mit diesen Konditionen war ich bereits absolut an meinem Limit. Ich konnte von dem Wenigen, das ich als VV-Honorar beanspruchte, auch noch eine Provision abgeben. Ich versuchte Herrn S. klar zu machen, dass das wirklich nicht geht.
Merkwürdigerweise dauerte es wieder sehr lange und ich hörte nichts mehr von Frau B. Ich rief Herrn S. an und fragte, was los sei. herr S. meinte, dass Frau B. sich unsicher sei, denn irgendein Bekannter von ihr würde für den anderen Vermögensverwalter sprechen. Und, so die Worte von Herrn S. sie sei hin und her gerissen.
Das verwunderte mich ein wenig, so dass ich noch am selben Tag direkt Frau B. anrief. Sie sagte mir am Telefon, dass sie selbst wie auch ihre Steuerberaterin zu mir kommen wollten. Ich hätte sie stark überzeugt und auch ihr ganzes Gefühl sei so, dass sie sich bei mir gut aufgehoben fühlt. Nur leider würde Herr S. ihr dringend von mir abraten und er würde stark dazu raten, sich für den anderen Vermögensverwalter zu entscheiden.
Vielleicht kann sich der Leser vorstellen, wie ich aus allen Wolken gefallen bin. Herr S. hat mich unverblümt belogen. Er sagte, dass Frau B. sich unsicher sei. Dabei war sie sich sicher und nur er arbeitete gegen mich. Obwohl er mir gegenüber immer davon sprach, wie zufrieden er mit mir sei. Und auch obwohl bereits die Töchter von Frau B. von mir betreut wurden und auch bereits gute Erfahrungen mit mir gemacht hatten.
Was liegt näher als die Vermutung, dass Herr S. von dem anderen Vermögensverwalter die Provision versprochen bekam, die ich ihm nicht geben konnte? Ist das nicht mehr als auf der Hand liegend?
Ich war wirklich entsetzt über Herrn S. Schon 10 Jahre zuvor hatte er Frau B. zu einem schelchten Vermögensverwalter geraten. Frau B. war in ihrer Hilflosigkeit in Finanzdingen Herrn S. asugeliefert. Ich begriff, dass Herr S. nicht der gute Freund für Frau S. war, sondern ihr mögliches Verderben. Ich kannte ja den Anlagevorschlag meines Mitbewerbers und ich versuche fair zu sein. Aber dieser Anlagevorschlag war tatsächlich für Frau B. vollkommen unpassend und auch sonst abwegig.
Ich entschloss mich, einen ausführlichen Brief an Frau B. zu schreiben. Darin erzählte ich ihr insbesondere davon, dass Herr S. eine Vermittlungsprovision von mir eingefordert hat, die ich ihm nicht geben konnte/wollte.
Nach etwa einem Monat bekam ich ein Anschreiben von Frau B., das nur eine Kopie eines Briefes von ihr an Herrn S. war. Dort forderte sie Herrn S. auf, auf meine Vorwürfe zu antworten. Herr S. hüllte sich aber in Schweigen.
Irgendwann brach er aber sein Schweigen, wann genau weiß ich natürlich nicht. Jedenfalls konnte er Frau B. davon überzeugen, dass er selbst integer sei und dass sie tatsächlich zu dem anderen Vermögensverwalter gehen solle. Die Würfel waren also gefallen. Ich hatte, wenn man so will, verloren.
Jetzt beginnt aber das Kuriose. Herr S. wollte unbedingt mein Kunde bleiben. Er wollte auch, dass die Töchter von Frau B. unbedingt meine Kundinnen bleiben würden. Dann kann man sich nochmal fragen, warum sollte dann ausgerechnet Frau B. nicht zu mir kommen?
Ich teilte Herrn S. hingegen mit, dass ich nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte und dass ich alle Verträge zwischen uns kündige. Für mich hat sich Herr S. als offensichtlicher Lügner herausgestellt, der außerdem seine Vertrauensposition einer unwissenden Frau gegenüber missbraucht. Das lag für mich ohne jegliche Frage auf der Hand. Ich empfand Herrn S. als unerträglich unmoralisch und wollte mit ihm nichts mehr zu tun haben. Lieber verzichte ich auf mein Honorar und verzichte auf die guten Kontakte, die er hatte, als mit einem solchen falschen Menschen weiter zu verkehren.
Herr S. lief mir, sage und schreibe, noch 6 Monate hinterher, weil er unbedingt mein Kunde bleiben wollte. Er winkte mit seinen tollen Kontakten und warb damit, wohin er mich überhall hinempfehlen würde. Ich lehnte ab.
Jetzt zurück zu TÜLAI. Ich möchte nicht behaupten, dass ich einer jener stillen Menschen bin, die ihres hohen moralischen Standards wegen auf beruflichen Erfolg verzichten. Ich bin sicherlich kein stiller Mensch und glaube schon, einen gewissen beruflichen Erfolg erreicht zu haben. Aber eines ist für mich klipp und klar: Ich strebe nicht nach beruflichen Erfolg und guen Verdienst um jeden moralischen Preis.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!