Kursgewinne verpassen versus Crashs
Viele Anleger zögern, in Aktien zu investieren, weil sie Angst vor einem Crash haben. Man hört und liest, dass es wohl in nächster Zeit krachen wird. Die Aktienkurse sind gefühlt hoch, und da müsse doch demnächst eine dramatische Kurskorrektur kommen. Irgendwie liegt das gerade in der Luft.
Das Problem ist nur, dass kein Mensch weiß, ob es wirklich zu einem Kursabschwung kommen wird. Vielleicht passiert das, vielleicht auch nicht. Und ehrlich gesagt. Meine Erfahrung nach dreißig Jahren im Finanzbereich hat mich gelehrt: Je mehr an ein bestimmtes Ereignis an den Kapitalmärkten glauben, umso unwahrscheinlicher ist es, dass es eintreten wird.
Aber davon unabhängig halte ich es nicht für rational, mit seiner Investition zu warten, sofern klar ist, dass man investieren will. Denn Timing-Versuche führen schon aus, ich möchte sagen, logischen Gründen zu nichts. Nehmen wir einmal an, man hätte eine Münze, von der man weiß, dass mit 55% Wahrscheinlichkeit „Wapp“ und mit 45% Wahrscheinlichkeit „Zahl“ geworfen wird. Also eine sogenannte unfaire Münze. Wenn man das weiß, dann ist es zu jedem Zeitpunkt unvernünftig auf „Zahl“ zu wetten. Und es ist zu jedem Zeitpunkt eine rationale Entscheidung auf „Wapp“ zu setzen. Viele denken intuitiv so: Wenn beispielsweise eine Zeitlang „Wapp“ geworfen worden ist, dann müsste doch jetzt irgendwann auch mal wieder „Zahl“ kommen. Also wette ich auf „Zahl“.
Das ist aber ein Irrtum bzw. eine letztlich irrationale Entscheidung. Und genauso ist es, wenn man mit dem Investieren wartet aus Angst vor einem Crash. Denn statistisch ist es ziemlich klar: Die Wahrscheinlichkeit, dass morgen die Aktienkurse höher stehen als heute, ist größer, als dass sie fallen werden. Es ist also wie bei der unfairen Münze. Darauf zu setzen, dass die Kurse steigen werden, also zu kaufen, ist vergleichbar damit, auf „Wapp“ zu setzen. Darauf zu setzen, dass die Kurse fallen werden, also zu warten, ist vergleichbar damit, auf „Zahl“ zu setzen. Aber warum sollte man auf das unwahrscheinlichere Ereignis wetten? Rational ist das jedenfalls nicht.
Auch meine langjährige Erfahrung hat gezeigt. Zu warten lohnt sich nicht. Ich halte es nicht einmal für eine gute Idee, nach und nach seinen Anlagebetrag zu investieren, also z.B. 100.000 Euro auf zehn Monate à 10.000 Euro zu verteilen. Wie oft habe ich das schon erlebt, und jedes Mal wäre es die bessere Entscheidung gewesen, alles gleich ganz am Anfang anzulegen. Mit Timing-Versuchen oder dem Strecken des Investitionsbetrags auf viele Monate macht sich der Anleger nur selbst etwas vor. Es „fühlt“ sich besser an. Aber rational ist es nicht.
Timing-Versuche sind auch psychologisch unklug. Denn wer auf einen nahen Crash wettet und deswegen jetzt nicht investiert, kommt sehr leicht in eine Zwickmühle. Nehmen wir an, dass nach ein paar Monaten die Kurse weiter gestiegen sind, dann wird es dem Anleger noch schwerer fallen zu investieren. Denn erstens tut es weh zu höheren Kursen einsteigen zu müssen. Zweitens würde man sich dann umso mehr ärgern, wenn dann doch noch der erwartete Crash kommen würde. Also wartet man weiter.
Nehmen wir aber an, dass die Kurse tatsächlich gefallen sind. Die allermeisten Anleger fühlen sich dann erst recht verunsichert. Wenn die Kurse gerade fallen, vielleicht ist das nur der Anfang und die Kurse purzeln noch weiter. Man fühlt sich nicht gut dabei zu kaufen, wenn alle anderen verkaufen und gerade sowieso eine schlechte Stimmung an den Kapitalmärkten ist. Also wartet man.
So oder so, neigt man dazu zu warten. Und man wird noch einmal einen Monat warten, und noch einmal einen Monat , etc. Ich kenne tatsächlich Anleger, die seit drei Jahren warten. Und seitdem sind die Kurse, trotz zwischenzeitlicher Abschwünge deutlich nach oben gegangen, so dass ihnen das Warten definitiv Geld gekostet hat in Form von entgangenen Gewinnen, von der psychologischen Belastung ganz zu schweigen.
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