Englands Geldpolitik im Mittelalter

Ich habe eben das Buch von Michael North „Kleine Geschichte des Geldes“ gelesen und sitze eben über ein Buch des Historikers Tom Holland „Millenium“. Letzteres beschreibt das Europa um die Zeit 1000 n.Chr.

Besonders interessant fand ich, was in beiden Büchern über die Münz- bzw. Geldpolitik Englands stand…

Tom Holland schreibt in seinem Buch „Millennium“ auf Seite 226:

„Als kostbarstes Erbe hinterließ der [englische König] Edgar seinen Nachfolgern … eine Maßnahme, die er im selben Jahr 973 eingeführt hatte und so weit ging, dass sie ihm die Möglichkeit eröffnete, das Münzgeld seines Königreichs zu prägen. Ein Volk – eine Währung: So lautete seine Philosophie. Fremde Münzen, veraltete Münzen, Münzen, die nicht dem geforderten Silber-Reinheitsgrad entsprachen: Sie alle wurden zu illegalem Plunder erklärt. Das war zu einer Zeit, als in einer einzigen französischen Grafschaft bis zu zwanzig verschiedene Währungen im Umlauf waren, nun eine wahrhaft durchgreifende Reform. Und auch nicht zuletzt eine lukrative Maßnahme: Denn aus dem Königreich wurde so nicht nur ein einziger Markt gemacht, es war infolgedessen auch viel einfacher, Abgaben einzutreiben. Kein Wunder, dass [Edgars Nachfolger als König] Ethelred unbeirrt an der Reform festhielt. Ab dem ersten Jahr seiner Herrschaft ließ er regelmäßig sämtliche Silberpennys der Königtums einziehen, neu prägen und dann – wenn er seinen Anteil abgezogen hatte – wieder in Umlauf bringen. Fälschungen wurden mindestens mit Verstümmelungen bestraft, es gab auch Todesurteile. Grundbesitz wude miuziös erfasst, geprüft und steuerlich beurteilt.

Hier eröffneten sich Einmischungsmöglichkeiten, über die Konstantinopel oder Cordoba, hätten sie Kenntnis davon gehabt, vor Neid erblasst wären. Im christlichen Westen gab es mit Sicherheit nichts auch nur annähernd Vergleichbares. England hatte vielleicht kein ausgedehntes Reich und war auch nicht Herrschaftssitz eines gesalbten Kaisers, aber seine Herrscher hatten bestimmt ordentlich Bares in der Kasse.“

England verfolgte im Mittelalter eine Geldpolitik, die wir heute als „restritiv“ bezeichnen würde. Eine Politik des starken Währung, ähnlich wie es die Deutsche Bundesbank mit der DM gemacht hat.

Die englischen Herrscher im Mittelalter verhinderten inflationäre Tendenzen erstens indem sie streng auf den Silbergehalt ihrer Münzen achteten. Zweitens indem sie keine fremden Münzen im Köngreich England zuließen.

Nur am Rande bemerkt: England hatte zu dieser Zeit eine reine Silberwährung. Gold wurde definitiv nicht als Zahlungsmittel verwendet. Ich sage das deswegen, weil man hin und wieder zu hören bekommt: „Gold war schon immer Zahlungsmittel.“ Für das mittelalterliche England ist diese Aussage sicherlich falsch.

Die strenge Währungspolitik hatte für England und ihre Könige sicher Vorteile. Interessant ist aber auch, dass diese Politik auch Nachteile hatte. Das beschreibt Michael North sehr schön in seinem Buch „Kleine Geschichte des Geldes“ auf Seite 49.

„Die englischen Könige und das Parlament waren geradezu glühende Anhänger des Bullionismus [=Bezeichnung für die oben geschilderte restriktive Münzpolitik] und verboten in einzigartiger Weise den Export einheimischer und ausländischer Münzen und jeglichen Edelmetalls. Das Ausfuhrverbot für Edelmetall und ausländische Münzen bielb bis 1663, das für die Ausfuhr englischer Münzen sogar bis 1819 in Kraft. Die Kaufleute mussten mit den vorhandenen Münzen sparsam umgehen und nahmen zu Kreditinstrumenten wie Wechseln und Inhaber-Schuldverschreibungen Zuflucht…“

Die restriktive Geldpolitik Englands führte also dazu, dass den Kaufleuten englischen Münzen wertvoll waren. Das ist genau die Wirkung, die man sich von eine anti-inflationistischen Währungspolitik erwartet.

Da aber die Geschäfte nur laufen, wenn genügend  Geld sozusagen als Schmiermittel des Wirtschaftens zur Verfügung steht, suchten die Kaufleute ihren Zuflucht zu Kreditinstrumenten. Also einer Form nicht-staatlichen Papiergeldes.

Das ist deswegen so intessant, weil man an diesem Beispiel sehr gut sehen kann, dass eine gute Konjunktur fast notwendigerweise eine Vergrößerung der Geldmenge mit sich bringt. Und wenn die Geldmenge nicht von Staats wegen erhöht wird, dann finden sich eben private Wege. Im ausgehenden Mittelalter eben in Form von Wechseln und Inhaber-Schuldverschreibungen, die von Kaufleuten ausgegeben wurden.

Klar ist natürlich, dass solches „Papiergeld“ die Geldmenge erhöht und als solches eine inflationäre Wirkung hat. Kein Wunder also, dass der englische Staat im Zuge seiner sehr restriktiven Geldpolitik, gegen diese Kreditinstrumente vorging. Michael North schreibt weiter im Text:

„Daraufhin wurde der Wollverkauf auf Kredit von staatlicher Seite zunehmend erschwert… 1429 forderte dann das englische Parlament von den englischen Wollverkäufern, sie sollten sich ihre Wolle zu einem Drittel in Edelmetall und den Rest in Bargeld … bezahlen lassen. Letztere Verordnung kurbelte zwar die Münzproduktion … an, schädigte aber unwiderruflich den englischen Wollhandel. Die traditionellen Abnehmer der englischen Wolle kauften dort, wo sie Kredit erhielten, und stiegen langfristig auf spanische Merinowolle um. Als die englische Krone deshalb in den 1470er Jahren ihre restriktive Kreditpolitik lockerte, war ein erheblicher Teil des internationalen Wollhandels verloren gegangen.“

Ergänzen muss ich an dieser Stelle noch, dass Wolle dasjenige Produkt war, das das mittelalterliche England hauptsächlich exportierte (so wie für uns Deutsche heute vielleicht das Auto).

Hier sieht man also die Kehrseite einer restriktiven Geldpolitik. Sie kann massiv ein gutes Wirtschaftswachstum abwürgen.

Und genau in diesem Dilemma befinden sich unsere heutigen Währungshüter bei der EZB oder bei der amerikanischen FED. Sie müssen einerseits eine so restriktive Geldpolitik verfolgen, dass sich die Inflation möglichst in Grenzen hält. Andererseits dürfen sie nicht so restriktiv sein, dass die wirtschaftliche Entwicklung Schaden nimmt. Sicher ist es ein sehr schwieriges und heikles Untefangen, eine gute Geldpolitik zu betreiben. Sie gleicht immer der sprichwörtlichen Fahrt zwischen Skyllla und Karyptis.

2 Kommentare
  1. Holger
    Holger sagte:

    Danke für den lehrreichen Bericht aus der Geschichte. Vielleicht kann ich mir ja en passant noch einen Buchtipp abholen: Ich hatte schon länger mal vor, diesen Bestseller „Die Geschichte des Geldes“ von Niall Ferguson zu lesen. Können Sie was dazu sagen, inwiefern das zum Buch von North (oder sogar dem von Holland?) vergleichbar ist? Und welches im Zweifel am empfehlenswertesten ist?

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    • peterreins
      peterreins sagte:

      Das Buch von Niall Ferguson ist sehr gut lesbar. Nette unterhaltsame Anekdoten, durch die man einiges über die Geschichte des Geldes, aber auch der Finanzmärkte lernen kann. Er beschreibt sehr gut die Entstehung der ersten Kreditmärkte in Italien, welche Bewandtnis es mit der ersten Aktie der Welt hat (die niederländische Ostindien-Company) und er äußert sich sehr kritisch über die Immobilie als vorgeblich sichere Geldanlage (was sie nicht ist). Dieses Buch ist auch für jede interessant, die behaupten Gold wäre schon immder „das“ Zahlungsmittel gewesen, was nachweislich falsch ist.

      Das Buch von Michael North ist etwas schwerfälliger zu lesen, hat wohl auch einen höheren wissenschaftlichen Anspruch. Hier geht es nicht wie bei Ferguson auch um die Kapitalmärkte, sondern wirklich nur ums Geld. Und hier in erster Linie um das Münzgeld ab dem europäischen Mittelalter bis ins industrielle Zeitalter. Hieraus kann man z.B. lernen, dass im frühen 19. Jahrhundert England das -einzige- europäische Land war, das den Goldstandard hatte. Das zweite Land war Deutschland ab 1871. Also auch hier werden all jene blamiert, die Gold schon immer als „die“ Währung schlechthin bezeichnen. Wenn man sich mit der Geschichte des Geldes tatsächlich beschäftigt, muss man feststellen dass Gold als wichtigstes allgemeines Zahlungsmittel nur eine sehr kurze Episode war.

      Das Problem beim Thema Geldanlagen/Finanzen ist, dass zu viele Menschen sich berufen fühlen unqualifizierten Quatsch von sich zu geben. Man behauptet einfach mal fröhlich etwas, was man mal so nebenbei irgendwo aufgeschnappt hat (eben z.B. die Sache mit dem Gold), macht sich aber nicht die Mühe nach korrekten Belegen seiner Behauptung zu suchen. Irgendetwas klinkt plausibel, also wird es einfach mal als eigene Überzeugung verkündet, selbst wenn es sehr eindeutige, wissenschaftliche Literatur gibt, die das Gegenteil belegt. Viele beschäftigen sich sicherheitshalber gar nicht mit solcher Literatur, um ja nicht in die Not zu kommen, seine Meinung revidieren zu müssen. Insofern ähnelt das Reden mancher über Finanzen/Geldanlage – entschuldigung – einem haltlosen Esoterik-Gequatsche. Und das gilt leider auch für sogenannte Profis oder manchemal auch den Finanztest (wie beispielsweise die aktuellen Artikel im Finanztest über Investmentfonds).

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