j0387687Ich habe eben einen Artikel aus der Financial Times Deutschland vom 11. Juni 09 gelesen. Darin geht es über Ron Dembo, dem langjährigen Ex-Chef des Unternehmens Algorithmics. Dieses Unternehmen entwickelt Risikomanagement-Software.

Heute gilt es als eine Ursache der Finanzkrise, dass Banken sich zu sehr auf diese Software verlassen haben. Um so interessanter, was Ron Dembo zum Thema Risiko zu sagen hat …

Hier ein paar Zitate aus dem FTD-Artikel:

„[Ron Dembo sagt:] ‚Das Problem mit den meisten Finanzinstitutionen ist, dass sie sich auf das konzentrieren, was sie messen können, und die offensichtlichen Risiken gar nicht wahrnehmen …‘

[Ron Dembo weiter:] ‚Die Banken haben sich der Illusion von Risk-Management hingegeben, nicht aufs große Bild geschaut. Ne Menge Mathe, ne Masse Regeln, null gesunder Menschenverstand.‘

… Er [Ron Dembo] fordert bessere Aufsicht, Leute mit Prinzipien, keine Softwaregläubigen… Der Mann, der die Softwaregläubigkeit erst möglich machte, meint das ernst …“

Ich bin ja selbst Mathematiker und in meinem Berufsleben im Finanzbereich habe ich mich schon oft über die Software- und Mathematik-Gläubigkeit vieler Verantwortungstäger gewundert. Manchmal fand ich es lächerlich, manchmal traurig.

Der Punkt ist, dass viele aus einem Unverständnis der Mathematik heraus glauben für regelrechte Zauberei halten. Und dabei eine ganz einfache Grundregel immer wieder außer acht lassen: „Garbage in, garbage out“. Zu Deutsch frei übersetzt: „Unsinn rein, Unsinn raus.“

Die Algorithmen und die Mathematik ist perfekt. Das was wir aber als Ausgangsdaten für die Berechnungen hineinstecken ist nicht perfekt. Und dann nützen noch so komplexe Kalkulationen nichts, um auf der Basis einer schlechten (bzw. sogar unsinnigen) Datenlage  sinnvolle Ergebnisse zu erhalten.

Aber ganau das wird im Finanzbereich ständig versucht. Ohne Ende.

Zum Beispiel wird bei Mortgage Backed Securities mit Ausfallwahrscheinlichkeiten kalkuliert. Das ist die Wahrscheinlichkeit, dass sagen wir von 1000 Kreditnehmern x ausfallen werden. Auf dieser Basis wird dann alles weitere berechnet. Nur: woher kennt man diese Ausfallwahrscheinlichkeit?

Man kennt sie eigentlich gar nicht. Und in dieser Not, sie nicht zu kennen, sie aber gerne haben zu wollen, wirft man einfach geschwind einen Blick in die Vergangenheit. Nach dem Motto: in den letzten 5 Jahren sind von 1000 Kreditnehmern x ausgefallen. Das kann man statistisch sehr leicht ermitteln.

Das Problem fängt aber schon an,  wenn man verschiedene Zeiträume wählt. Es macht leider einen Unterschied, ob man 5 Jahre zurückgeht oder 2 oder 10  oder die Daten von 1980 bis 1990. 

 So versteht man auch die Aussage von Alan Greenspan, der gesagt hat:

„Das moderne Risikomanagment hat Jahrzehnte funktioniert. Aber dann, im letzten Sommer ist es kollabiert, weil die Risikomodelle nur mit Daten aus Zeiten der Euphorie gefüttert wurden.“

Da kann ich nur wiederholen: „Garbage in, garbage out.“

Und das gilt für vieles, was in der Finanzbranche gefeiert wird. Beispielsweise auch die Markowitz-Optimierung. Das ist eine nette mathematische Theorie mit einem schönen Algorithmus zur Berechnung eines sogenannten optimalen Portfolios. Und so mancher Anbieter wirbt damit, dass er für seine Kunden Markowitz-optimierte Depots zusammenstellt.

Nur ist diese Optimierung in der Praxis vollkommen untauglich, weil die Input-Daten einfach nicht sinnvoll zu bestimmen sind.

Das Problem an dieser ganzen Herumrechnerei ist, dass es eine Schein-Sicherheit erzeugt. Und zwar für all jene, die das Spiel nicht durchschauen.

Wer sich in einer derartigen Schein-Sicherheit wiegt, verkennt die wirklichen Risiken.   Und diese wirklichen Risiken sind leider nur sehr schwer oder gar nicht messbar. Sie sind vollkommen unbestimmbar, chaotisch und zufällig. Alles was bestimmbar ist, ist schon kein nicht mehr so gefährliches Risiko.

Aber dieses wirkliche, gefährliche Risiko bleibt und ist nicht in den Griff zu beikommen. Wer ein echter Risikomanager sein will, muss sich diesem unkalkulierbaren Risiko stellen. Das geht leider nicht mit schlauen Algorithmen – und das sage ich als Mathematiker.

Zu diesem Thema noch ein Zitat aus Nassim Talebs Buch „Narren des Zufalls“ (S. 158):

„… wenn wir in einer Welt leben würden, in der Zufälligkeiten kartografiert sind, hätten wir es einfach, da es für solche Berechnungen ein ganzes Fachgebiet namens Ökonometrie oder Zeitreihenanalyse gibt. Man bräuchte nur einen netten Ökonometrikter anrufen … Er würde die Daten durch seine Software laufen lassen und eine Diagnose erstellen … „

„Aber wir haben keine Gewissheit, dass die Welt, in der wir leben, gut katografiert ist. Wir werden sehen, dass die Einschätzungen, die wir aus Merkmalen der Vergangenheit ziehen können, gelegentlich relevant sind. Aber sie können auch bedeutungslos sein, und manchmal führen sie einen sogar in die Irre … Bisweilen werden Marktdaten einfach zu einer Falle …“

Erinnert dieses Zitat nicht an das, was Greenspan oben sagte?

Quelle der in diesem Beitrag verwendeten Bilder: http://office.microsoft.com/de-de/clipart

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