Abstrakte Ängste versus konkrete Probleme
In meinen Gesprächen mit Anlegern fällt mir auf, dass manche sehr allgemeine, abstrakte Ängsten haben. Beispiele für solche Befürchtungen sind:
- „In näherer Zukunft wird das gesamte Finanzsystem zusammenbrechen“
- „Der Euro wird wertlos werden“
- „Die EZB betreibt eine Geldpolitik, die letztlich zu einer hohen Inflation führen wird.“
- „Die Überschuldung bestimmter Länder wird zu einer Krise führen“
- etc. etc.
Nicht selten gibt es auch bestimmte Bücher, deren Autoren (anscheinend) überzeugende Argumente für die jeweilige Befürchtung haben. Man schaue nur in einen Bücherladen in die Abteilung Wirtschaftsbücher. Da liegt ein Weltuntergangsprophet neben dem anderen. Offenbar lässt sich mit den Ängsten der Menschen gutes Geld verdienen.
Nur am Rande bemerkt. Ich kann mich noch gut erinnern, welche Bücher so um das Jahr 2005 gut gingen, damals vor dem Beginn der Finanzkrise. Das waren solche Bücher die einem erklärten, wie man schnell reich wird oder dass 15% Rendite am Aktienmarkt Normalität sind. Damals, nach den haussierenden Börsen der 1990er Jahre, war die Stimmung komplett anders als heute. Seinerzeit war die vorwiegende Emotion Gier, und nicht Angst.
Naja, heute ist es die Angst, die viele Menschen in Geldanlagefragen umtreibt. Und der Phantasie für Ängste und Befürchtungen sind keine Grenzen gesetzt. Außerdem kann man ja als Autor auch mal einen Glückstreffer landen. So schrieb Max Otte kurz vor der Finanzkrise sein Buch „Der Crash kommt“. Das Timing war perfekt und auch der Titel. Leider nicht der Inhalt.
Denn wer in das Buch selbst hineingeschaut hat, kann feststellen, dass Otte zwar von einem unmittelbar bevorstehenden Crash geschrieben hat. Das was er aber voraussah, hatte nicht mal annähernd Ähnlichkeit mit dem, was tatsächlich geschah. So gut wie jede konkrete Aussage Ottes im Buch ist falsch. Beispielsweise gibt er auch ganz zum Schluss konkrete Vorschläge, mit welchen Investments man sich, seiner Meinung nach, vor dem kommenden Crash schützen könne. Sieht man sich diese Empfehlungen an, so wird man feststellen, dass die allermeisten davon gerade in der schlechten Phase ab 2007 alles andere als gut gelaufen sind.
Otte hatte einen Glückstreffer mit seinem Titel. Das, was er geschrieben hatte, hat sicherlich keinem einzigen Anleger geholfen. Und auf diese Masche möchten nun auch andere Autoren aufspringen. Hauptsache, man macht eine Angst-machende Prognose. Sobald etwas eintritt, was nur irgendwie an diese Prognose erinnert, ist man ein gemachter Mann. Der konkrete Inhalt des Buches, wie z.B. Argumentationsketten oder Empfehlungen, wie man sich schützen kann, sind eher zweitrangig.
An sich kann man sich als Leser ja auch beschäftigen, womit man will. Wenn es einem Spaß macht, solche Bücher zu lesen, dann soll man es halt machen. Man soll aber nicht wirklich damit rechnen, dass man hier gute Ratschläge für die eigene Geldanlage bekommt. Hierfür sind solche Bücher eher hinderlich. Denn sie lenken von dem wirklich Wesentlichen ab.
Und was ist, meiner Meinung nach, wirklich Wesentlich? Naja, die konkreten Anlageziele oder finanziellen Probleme, die man als Privatanleger so haben kann. Typische konkrete Anliegen sind z.B.:
- die Altersvorsorge: Wie muss ich ansparen bis zu welchem Zielvermögen, damit ich im Alter gut leben kann?
- Wie kann ich mir eine Immobilie kaufen und möglichst bald wieder schuldenfrei sein?
- Wie soll ich Geld für meine Kinder anlegen, damit sie einen guten Start in ihr Leben haben werden?
- etc.
Der Unterschied zwischen den erstgenannten Ängsten und diesen Fragen ist, dass letztere konkret sind. Nicht abstrakt und (ich sag mal) abgehoben.
Konkrete Probleme kann man konkret mit bestimmten Berechnungen lösen. Man erhält konkrete Handlungsempfehlungen und kann abschätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass man sein Anlageziel erreicht.
Abstrakte Ängste lähmen nur bzw. noch schlimmer: führen zu absurden Investitionen. Die konkreten Lebensziele werden jedenfalls so – fast mit Sicherheit – verfehlt. Und letztlich weiß man ja nicht, ob ein bestimmtes Horrorszenario tatsächlich eintritt, noch weiß man, wann genau es so weit sein wird. Und man weiß auch nicht, was genau einen dann, falls es tatsächlich eintreten sollte, tatsächlich retten wird. Es handelt sich um einen Wust von Spekulationen.
In diesem Zusammenhang finde ich die Anekdote um den berühmten Wirtschaftstheoretiker John Maynard Keynes sehr lehrreich. Nach dem Ersten Weltkrieg sah er (richtig) voraus, dass es in Deutschland zu einer sehr starken Inflation kommen müsse. Auf der Basis dieser Prognose sammelte er unter Freunden und Bekannten viel Geld ein, um gemeinsam in einer Art Investmentfonds auf eine Hyperinflation in Deutschland zu wetten. Wir wissen ja, dass es 1923 tatsächlich zu einer Hyperinflation kam. Dennoch verlor aber Keynes fast das gesamte eingesammelte Geld. Diese Anekdote ist ein gutes Beispiel dafür, dass man selbst mit richtigen Prognosen viel Geld verlieren kann.
Ich kann nur jedem raten, sich in seinen Anlageentscheidungen nicht (keinesfalls!) von dergleichen abstrakten Ängsten und Befürchtungen leiten zu lassen. Vielmehr sollte man sich Gedanken über seine persönlichen, konkreten Anlageziele machen und wie man sie konkret erreichen kann. Das sind die wichtigen Themen, wenn man sich mit seinen Finanzen beschäftigt. Allgemeine Ängste lenken davon nur ab.
Vielleicht noch eine Bemerkung zu den „schlauen“ Argumentationsketten, die viele (selbsternannte oder auch echte) Experten ins Feld führen, um ein bestimmtes Szenario als unausweichlich darzustellen. Ich bin seit über 30 Jahren im Finanzbereich tätig. Und solche Argumentationsketten hat es schon immer gegeben, und ich kann eines sagen: Ich kann mich an keine einzige erinnern, die tatsächlich eingetreten ist. Die Grunderkenntnis im Finanzbereich ist, dass es immer anders kommt, als man denkt. Etwas süffisanter könnte man den netten Spruch zitieren: Der Mensch dachte, Gott lachte.
Ich möchte nicht behaupten, dass wir nichts zu befürchten hätten. Natürlich kann es zu dramatischen Verwerfungen und Crash-Situationen kommen. Aber eines ist auch gewiss: Es werden genau solche Szenarien sein, die heute niemand voraussieht. Das wirklich Gefährliche ist das komplett Unerwartete. Das was sich heute keiner erträumen kann. Weil das aber heute keiner kann, muss es auch jetzt für unsere Anlageüberlegungen unberücksichtigt bleiben.
Und all das, was uns mittels vermeintlich schlauer Milchmädchenrechnungen an Horroszenarien prognostiziert wird, das macht mir tatsächlich am allerwenigsten Angst.
Nach dem statistischen Bundesamt „wird die Inflationsrate in Deutschland – gemessen als Veränderung des Verbraucherpreisindex (VPI) zum Vorjahresmonat – im Januar 2020 voraussichtlich 1,7 % betragen“. Die Tagesgeld-Zinssätze bei deutschen Banken liegen unter 0,2%, so dass ein Nettoverlust bei dieser sicheren Anlage von zur Zeit mindestens , 1,5% entsteht. Egal welche subjektiven Befürchtungen beim Anleger bestehen, kommt derzeit m.E. nur die Anlage an der Börse in Frage. Allerdings muss der Anleger ein Rebalancing selbst übernehmen oder dieses Profis überlassen.