Börsen-Astrologie
In einem Magazin habe ich eben einen „Börsenausblick“ gelesen. An dieser Stelle will ich nicht sagen, wer diesen Ausblick verfasst hat noch aus welchem Magazin ich ihn habe, da ich niemanden persönlich bloßstellen möchte. Ich gebe im Folgenden den Text wieder und gebe meine Kommentare dazu. Der Ausblick beginnt so:
„Die Rahmenbedingungen für 2017 lassen sich aus heutiger Sicht nur schwer einschätzen.“
OK, war das je anders? Gab es irgendwann einmal einen Zeitpunkt, an dem ganz klar war, wie sich die Börse weiterentwickeln wird? Und wie war das, als sich die meisten Marktbeobachter ziemlich einig in ihren Prognosen waren? Trat dieser Konsens dann tatsächlich ein oder standen dann die meisten letztlich als begossene Pudel da?
Ich erinnere mich beispielsweise noch gut an den April 2007. Damals besuchte ich eine Konferenz, bei dem Chefanalysten und die Creme de la Creme der deutschen Volkswirte anwesend waren. Kein einziger sah die kommende Krise voraus, die nur ein paar Monate später einsetzte. Und es herrschte ein sehr schöner Konsens darüber, dass es an der Börse tendenziell positiv weitergehen werde.
Oder bis Mitte 2014 gab es einen Konsens, dass der Ölpreis steigen wird. Dass er aber dann in Folge so stark einbrechen würde, sah damals niemand.
„Daher sollten Anleger vorsichtig sein …“
Wann sollten Anleger bitte nicht vorsichtig sein?
„… und ihr Portfolio breit über unterschiedliche Anlageklassen diversifizieren, …“
Ich verstehe nicht, was jemand damit sagen will. Jetzt ist Diversifikation gut, aber zu anderen Zeiten ist Diversifikation schlecht? Eigentlich steht im jeden Lehrbuch zum Thema Geldanlage, dass man generell und immer auf eine gute Diversifikation achten sollte.
„Denn trotz der vielen positiven Faktoren könnten sich sowohl Zentralbank und politische Entscheidungen als unternehmensspezifische Nachrichten zu einem Störfaktor für die Wertpapiermärkte entwickeln.“
Und trotz des guten Wetters heute, könnten Wolken aufziehen und Regenwetter aufkommen. Es könnte aber auch, wer weiß, alles bleiben, wie es ist. Könnte, könnte, könnte … Was sind denn das für Banalitäten?
Interessant an dieser Stelle ist, dass es exakt dieselbe Sprache ist, wie sie von Astrologen und anderen Wahrsagern verwendet werden. Einige wichtig klingende Worte, wie z.B. „Zentralbank“, „unternehmensspezifisch“ etc. werden zu einer aussagenlosen Trivialität zusammengeflochten.
„Zudem wird es auch im Jahr 2017 darauf ankommen, die Chancen und Risiken einzelner Märkte und Segmente richtig zu beurteilen, um Investitionen in mögliche Verlierer zu vermeiden.“
Die Frage ist doch an dieser Stelle, ob es überhaupt – im Vorhinein – möglich ist, „Chancen und Risiken einzelner Märkte und Segmente richtig zu beurteilen“.
Nehmen wir an, es ist möglich, naja, dann ist der ganze Satz aber wieder eine nichts sagende Trivialität. Denn warum sollte es in 2017 wichtig sein Chancen und Risiken einzelner Märkte richtig zu beurteilen, nicht aber in 2016 oder in 2015?
Und wenn es möglich ist, warum bleibt der Autor dann so vage? Warum sagt er uns nicht konkret welche genauen Märkte und Segmente welche Chancen und Risiken haben?
Nehmen wir aber an, dass das sowieso vergebliche Liebesmüh ist, suggeriert der Autor dann nicht etwas, was es gar nicht gibt. Für mich klingt der obige Satz etwa so: „Damit Ihr nächster Urlaub besonders schön wird, wird es darauf ankommen, dass Sie das Wetter am Zielort richtig einschätzen.“
„Ebenso wird die richtige Einschätzung der Entwicklung des Euro einen erheblichen Einfluss auf die Wertentwicklung der Portfolios von Investoren, die auch außerhalb der Eurozone investieren wollen, haben.“
Und wer gerne Bananen isst, sollte auf den Bananenpreis achten. Hören die Banalitäten denn nicht auf?
„Auch 2017 sollten mögliche Rückschläge genutzt werden, um eventuell einzelne Positionen im Portfolio aufzustocken. Um diese taktischen Transaktionen durchführen zu können ist es notwendig, einen Teil des Portfolios in Cash vorzuhalten.“
Das ist immerhin eine einigermaßen konkrete Aussage. Nehmen wir beispielsweise jemanden an, der sein ganzes Geld in den DAX anlegen möchte. Der Autor rät dazu, das eben nicht vollständig zu tun, sondern einen Teil seines Vermögens, sagen wir, auf einem Tagesgeldkonto zu belassen. Wichtig wäre jetzt natürlich noch eine Aussage darüber gewesen, wie hoch dieser Anteil sein soll. 50 Prozent, 10 Prozent oder nur 5 Prozent?
Die nächste Frage aber ist, ob das wirklich ein so guter Rat ist. Es könnte doch auch folgendes Szenario eintreten: Der DAX steigt das ganze Jahr unaufhörlich und die Kurse, die wir jetzt haben, werden im Laufe des Jahres nicht unterschritten.
In diesem Fall wäre der Rat zu einer Liquiditätsreserve – um bei einem Kursrückschlag zu investieren – fatal. Erstens für die Performance des eigenen Vermögens, zweitens aber auch für die arme Seele des Anlegers. Denn von Monat zu Monat zusehen zu müssen, wie einem die Kurse davonlaufen, bereitet Schmerzen.
Es könnte aber auch sein, dass wir tatsächlich, sagen wir mal, in einem Monat einen heftigen Kursrückschlag haben werden. Wer wird denn dann wissen, ob dann schon der Tiefpunkt erreicht sein wird. Meine Erfahrung ist, dass viele Anleger mit dem Vorhaben scheitern, bei Kursrückschlägen nachzukaufen, weil sie Angst haben, dass es noch weiter runtergehen könnte. Viele warten, warten und warten … und schließlich haben sie doch den besten Zeitpunkt verpasst.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich von solchen taktischen Ratschlägen überhaupt nichts halte. Es hört sich natürlich gut an, eine Liquiditätsreserve zu halten, um bei Kursrückschlägen kaufen zu können. Und – im Nachhinein – sieht es ja ganz klar aus, wann man hätte einsteigen sollen und wann man noch weiter hätte warten sollen. Ja im Nachhinein – jeder Anleger muss aber jetzt Geld anlegen, ohne zu wissen, was danach kommt.
In der Praxis ist das mit so vielen konkreten Fallen und Schwierigkeiten verbunden, dass ich einem Privatanleger wirklich nur von solchen taktischen Spielchen abraten kann.
Ich frage mich ernsthaft, warum Leute Geld bezahlen, um solche „Börsenausblicke“ zu lesen.
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