Schein und Sein bei der Geldanlage
Jeder von uns kennt die Situation: Man sieht von der Ferne eine Person, die man zu kennen glaubt. Man nähert sich und will schon zur Begrüßung ansetzen: „Hallo, … lange nicht mehr gesehen.“ – Da erkennt man im letzten Augenblick, dass es sich doch um eine andere Person handelt, die man gar nicht kennt.
Anders formuliert: Es hatte den Anschein, eine bekannte Person wiederzusehen. Die Realität aber war eine andere. Oder noch mal anders formuliert: Wir erleben immer wieder den Unterschied zwischen Schein und Sein.
Etwas scheint zu sein, heißt: Wir glauben, etwas sei wirklich, tatsächlich – quasi näher besehen – aber ist unser Glaube falsch. Sehr häufig haben wir dann so etwas wie ein „Aha“-Erlebnis, wenn wir unseren Irrtum erkannt haben. „Aha, es ist doch anders, als ich anfangs meinte!“
Dieses Phännmen von Schein uns Sein, Anschein und Wirklichkeit, Täuschung und Erkenntnis ist absolut alltäglich und allgegenwärtig. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass dieses Phänomen auch im Bereich Finanzen und Geldanlage vorkommt.
Gerade momentan habe ich den Eindruck, dass dieses Phänomen an den Kapitalmärkten besonders stark ausgeprägt ist …
So stand beispielsweise huete (27.05.2010, Seite 17) in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel mit der Überschrift „Gute Prognosen, ängstliche Bürger“. Darin steht unter anderem:
„Die deutsche Wirtschaft wird sich überraschend schnell von der schwersten Rezession der Nachkriegsgeschichte erholen. Das erwartet die Industrieländer-Organisation OECD. Viele Bundesbürger scheinen diesen Optimismus aber nicht zu teilen. Sie haben wenig Lust zum Einkuafen, sparen wie selten zuvor – und ihre Angst vor Inflation und Staatsschulden wächst.“
Auch ich bekomme fast täglich diese Angst vieler Menschen vor Inflation, Hyperinflation oder gar Währungsreform mit. Spricht man mit den Leuten, dann scheinen sie folgendes Bild in den Köpfen zu haben:
Die Krise im Zuge der Lehman-Pleite war nur der Anfang. Die eigentliche Krise kommt noch. Die Staatsschulden sind weltweit inzwischen so hoch, dass wir notwendigerweise auf eine Inflation zusteuern. Gerade dem Euro habe ich noch nie so richtig getraut. Jetzt zeigt es sich, dass es ein Fehler war, mit wirtschaftlich so schwachen Ländern wie Griechenland oder Portugal eine Währungsunion zu versuchen. Der Wertverfall des Euro gegenüber dem US-Dollar zeigt, dass der Euro immer schwächer wird. Einen hohen Wertverfall des Euro halte ich für sehr wahrscheinlich, möglicherweise sogar eine Währungsreform. Unsere Großeltern haben das ja schon mal in den 1920er-Jahren erlebt. Das steht uns jetzt wohl auch bevor. Daher denke ich darüber nach, mein Geld in Immobilien oder in Gold anzulegen.
Dies, so mein Eindruck, denken derzeit viele Menschen. Die Leute sind verunsichert, sehen pessimistisch in die Zukunft, halten das Schlimmste für möglich.
Auf der anderen Seite sind die Anzeichen für eine sich erholende Weltwirtscahft überhaupt nicht zu übersehen. In Deuschland geht es nach oben und zwar stärker als noch vor Monaten gedacht. In Amerika fehlen nur noch 1,2%, um dasselbe Bruttoinlandsprodukt (BIP) wie vor der Krise zu erreichen. Selbst Portugal erelbt derzeit ein ungahntes Wirtscahftswachstum. In der heutigen Financial Times Deutschland (FTD) heißt es auf der ersten Seite:
„Welthandel zeiht an – Gute Chancen für Konjunkturboom – … Die Weltwirtschaft steuert auf einen Boom zu .. Darauf deuten aktuelle Prognosen und Konjunkturindikatoren …“
Gleichzeitig verweist die FTD darauf, dass es derzeit eine Reihe von Warnsignalen an den Kapitalmärkten gibt. Dennoch ist das gegenwärtige Bild der wirtschaftlichen Realität ganz eindeutig positiv. So, wie die Dinge jetzt sind, gibt es keinerlei ernsthaften Anhaltspunkte für eine pessimistische Weltuntergangsstimmung. Das oben geschilderte Bild, das wohl viele Deutsche gerade im Kopf haben, hat sehr wenig mit der gegenwärtigen Realität zu tun.
Wie wenig die befürchtete Hyperinflation momentan mit der Realität zu tun hat, sieht man auch an dem Verhalten der Menschen. So heißt es in dem SZ-Artikel:
„Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens GfK … verschlechterte sich im Mai die Kaufbereitschaft zum vierten Mal in Folge.
‚Dieser Monat zeit, dass Konsum im Kopf beginnt‘, sagt GfK-Chef Klaus Wübbenhorst. Trotz einer anch wie vor geringen Inflation und eines stabilen Arbeitsmarktes seien die Menschen verunsichert… [Das statischtische Bundesamt] meldete, dass in Deutschland so eifrig wie seit 17 Jahren nicht mehr gespart wird. Im Durchschnitt legten die Bundesbürger von Januar bis März 15 Prozent ihres verfügbaren Einkommens auf die hohe Kante…“
Hier sieht man das geradezu paradoxe Verhalten. Wenn tatsächlich eine Hyperinflation droht, dann ist es doch das beste, sein Geld so schnell wie möglich loszuwerden. Dass man auf der einen Seite Angst vor einer Hyperinflation hat, andererseits aber sein Geld spart wie noch nie, ist widersprüchlich.
Man erinnere sich einmal – zum Vergleich – was unsere Großeltern in den 1920er-Jahren taten. Damals holten die Frauen den Lohn ihrer Männer am Zahltag direkt von der Fabrik ab, nur um das Geld schnellstmöglich im nächsten Laden auszugeben. Spraren macht in Zeiten einer Hyperinflation gar keinen Sinn .
Dass sich die Deutschen derzeit überhaupt nicht so verhalten, wie es in einer Hyperinflation sinnvoll wäre, zeigt vor allem eines: Der Euro ist gar nicht so schwach, wie viele meinen. Ja, er hat Wert gegenüber dem US-Dollar verloren. Das ist der sogenannte Außenwert des Euro. Aber der innere Wert, d.h. innerhalb des Euro-Wirtschaftsraumes, ist denkbar stabil. Und das ist, was zählt.
Eine wirkliche Geldentwertung des Euros haben wir momentan nicht einmal ansatzweise. Die Leute haben ein schauderhaft pessimistisches Bild in ihren Köpfen, wenn man aber genauer hinsieht, hat dieses Bild mit der Realtität nur sehr wenig zu tun. Das ist genau das, was ich oben das Phänomen von Schein und Sein genannt habe.
Man kann sich natürlich fragen, wie es dazu kommen konnte, dass so viele Menschen einem so pessimistischen Schein verfallen sind. Ich glaube, dass hier vor allem die Medien eine Rolle spielen. Gemeldet werden vor allem die negativen Dinge. Positives ist lange nicht so interessant, wie Negatives.
Meine These ist aber auch die folgende. Wir haben die größte Krise seit 70 Jahren erlebt. Für viele war sie aber bislang weniger schlimm als erwartet. Auch unsere sog. Experten haben beispielsweise in 2009 von Monat zu Monat einen drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit vorhergesagt – der aber nicht gekommen ist. Das Gefühl vieler Menschen heute ist:“ Das kann es doch noch nicht gewesen sein. Da muss doch noch was kommen.“
Gerade weil sowohl der Abschwung als auch danach der Aufschwung für viele nicht spürbar genug war, umgekehrt aber ständig von der Krise geredet wird, denke ich, verrennen sich viele in ein pessimistische Bild von der Wirtschaft. Dass dieses Bild aber mehr mit Schein als mit Sein zu tun hat, zeigen die nüchternen Fakten.
Noch ein letzter Punkt. Dass wir uns im Alltag mal täuschen, ist meistens eher ungefährlich. Dass ich eine Person mit einer anderen verwechsle, kann sogar witzig sein. Im Bereich der Geldanlage ist es aber sehr gefährlich, dem täuschenden Schein zu unterliegen. Hier kann man sehr viel Geld verlieren, wenn man die Dinge falsch einschätzt. Genau das passiert leider gerade. Der Ansturm auf Immobilien und auf Gold momentan hat hochgradig irrationale Züge.
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