Roulette und Börse

Dostojewski schreibt in seinem Roman „Der Spieler“ im vierten Kapitel:

„…ich habe eine Beobachtung gemacht, die mir richtig scheint. In der Reihenfolge, in der die verschiedenen Farben und Zahlen gewinnen, liegt wirklich, wenn nicht gerade ein System , so doch ein gewisser Anklang an eine Regel, was natürlich sehr seltsam ist. So pflegten zum Beispiel nach den zwölf mittleren Ziffern gewöhnlich die zwölf ersten herauszukommen; zweimal, nehmen wir an, trifft es die zwölf ersten, dann geht es auf die zwölf letzten über. Nach den zwölf letzten folgen wieder die zwölf mittleren, die es drei- oder viermal nach der Reihe trifft, um dann wieder zu den zwölf ersten überzugehen, von denen es, nachdem es sie etwa zweimal getroffen hat wieder zu den zwölf letzten zurückkehrt. Die letzten trifft es, sagen wir, nur einmal, dann kommen dreimal wieder die zwölf mittleren an die Reihe, und so geht es weiter, anderthalb oder gar zwei Stunden lang. Immer ein, drei und zwei. Das ist sehr merkwürdig. – An einem andern Tage oder nur Vormittage kommt es dagegen vor, dass Rot immer mit Schwarz abwechselt; bald dies, bald jenes, es wechselt alle Augenblicke, und eine Regel besteht dann insofern, als es weder die eine noch die andere Farbe mehr als zwei- oder dreimal nach der Reihe trifft. An einem anderen Tage oder Abend wiederum kommt nur die eine Farbe, Rot zum Beispiel, Schlag auf Schlag heraus, mehr als zweiundzwanzigmal nach der Reihe, dann tritt plötzlich eine kleine Unterbrechung ein und – wiederum folgt Rot, Rot, Rot. Und das dauert mitunter eine lange Zeit, zuweilen sogar einen ganzen Tag…

 Man vergleiche diesen Text mit den Ausführungen, die manche zum Thema Börsenentwicklung zum Besten geben …

Erst kürzlich hatte ich eine Unterhaltung mit einem Privatanleger. Er meinte, dass der DAX in der nächsten Zeit nach unten gehen müsse, weil wir bereits eine so lange Aufwärtsbewegung erlebt haben.

Verglichen mit dem Roulette wäre das in etwa dieselbe Argumentation wie: „Jetzt kam bereits 10 Mal hintereinander Rot, jetzt muss doch auch mal wieder Schwarz kommen“.

In der Fachliteratur ist diese Denkweise als Gambler’s Fallacy (Fehler des Spielers) bekannt. Denn rein wahrscheinlichkeitstheoretisch ist es durchaus denkbar, dass Rot 100 Mal hintereinander kommt. Bzw. die Wahrscheinlichkeit, dass beim nächsten Mal Schwarz kommt ist immer ca. 50% (nicht genau 50%, weil es ja auch Zero gibt).

Viele lassen sich durch Vergangenheitsdaten aufs Glatteis führen. Man sieht, dass so und so oft Rot gekommen ist und meint, dass das irgendeinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit dafür hätte, welche Farbe beim nächsten Mal kommt. Dabei haben die vergangenen Ergebnisse beim Roulette überhaupt keinen Einfluss darauf, wohin die Kugel als nächstes springt. Rein gar keinen, es sei denn man glaubt an Magie oder dunkle mysteriöse Zusammenhänge.

So scheint es aber auch tatsächlich zu sein: Sehr viele Anleger, egal ob Laie oder Profi, scheinen an so etwas wie mysteriöse Zusammenhänge zu glauben. Was das Roulette betrifft, siehe den obigen Text von Dostojewski.

Und beide Male, egal ob beim Roulette oder bei der Börse, meinen einige, sich Dinge berechnen zu können. Je komplizierte, so scheint es, umso mehr glauben man daran.

Und so kommen sie daher, die Analysten und angeblichen Börsenexperten und analysieren einem Charts, interpretieren vergangene Kursentwicklungen und meinen daraus ihre unfehlbaren Schlüsse ziehen zu können. Eigentlich alles zum Lachen. Wenn nicht regelmäßig zu viele auf solche Scharlatanerie hereinfallen würden.

Die simple Wahrheit ist:

  • Die weitere Börsenentwicklung lässt sich nicht berechnen.
  • Ob die Kurse steigen oder fallen werden, hängt nicht davon ab, was in der Vergangenheit geschehen ist. Die Wahrscheinlichkeit ist jedes Mal dieselbe, davon abgesehen, dass man eine solche Wahrscheinlichkeit streng genommen nicht einmal berechnen kann. Was man aber nicht berechnen kann, das sollte man sowieso nicht versuchen zu berechnen.

Man könnte sich noch fragen, warum sich so hartnäckig dieser Aberglaube hält, dass sich beim Roulette oder bei der Börse etwas berechnen lässt. Ich glaube, dass es hier zwei Antworten gibt.

Die erste Antwort ist, dass wir Menschen ganz allgemein gesprochen den Zufall nicht ertragen können. Das scheinen auch psychologische Experimente zu bestätigen. Versuchspersonen wurde gesagt, dass zwei Lichter absolut zufällig nacheinander aufleuchten würden. Dennoch haben die meisten nach kurzer Zeit versucht, ein Muster zu erkennen. Manche behaupteten auch steif und fest, dass sie ein solches Muster ausgemacht hätte – wie gesagt, obwohl die Lichter definitiv nach dem Zufallsprinzip aufleuchteten.

Die zweite Antwort ist, dass immer auch Menschen ein Interesse daran haben, anderen Menschen glauben zu lassen, dass es bei der Börse mysteriöse Zusammenhänge gebe. Man will sich selbst eben als Profi darstellen, der etwas weiß, was andere nicht wissen. Und da ist es sehr hilfreich, wenn man a) das Börsengeschehen als unverstehbar und mysteriös darstellt und b) sich selbst so , als besäße man ein kompliziertes, schwer zugängliches Geheimwissen.

 

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