Das Dilemma mit den Rating-Agenturen

Die Rating-Agentur Standard & Poors (S&P) stuft US-Staatsanleihen von AAA auf AA+ herab. Und die Folge ist ein weltweiter Aktiencrash. Das Peinliche an der Sache: Inzwischen weiß man, dass sich S&P um viele Milliarden USD verrechnet hat. Dennoch ist und bleibt es erstaunlich, dass Rating-Agenturen einen so großen Einfluss haben…

Basel II

Eine der Gründe für die Bedeutung der Rating-Agenturen liegt sicherlich in den Eigenkapitalvorschriften für Banken, die durch den Namen „Basel II“ zusammengefasst werden. Hier wird unter anderem folgendes festgelegt:

Für jede Anlage auf der Aktivseite der Bank muss zum Teil Eigenkapital hinterlegt werden. Dieser Eigenkapitalanteil ist umso größer, je riskanter die Geldanlage ist. Der Eigenkapitalanteil ist umso geringer, je sicherer die Geldanlage ist.

Diese Regel ist für sich genommen sicherlich logisch und einleuchtend. Das Problem fängt nur damit an, wie man dieses „mehr oder weniger riskant“ bewerten will. Wie soll man entscheiden, ob ein Kredit an die Firma X riskanter ist als die Anleihe der Firma Y?

In der Praxis stößt man hier auf enorme Schwierigketen. Und das exakt ist die Aufgabe der Rating-Agenturen: Den Banken klare Risikobewertungen an die Hand zu geben, damit sie ihr Portfolio nach Risikoklassen bewerten könnnen. Letztendlich natürlich zu dem Zweck, die adäquaten Eigenkapitalhinterlegungen festlegen zu können.

Rating-Agenturen sind insofern Dienstleistungsunternehmen für die Banken. Die Banken sparen sich Abteilungen im eigenen Haus, um die Risiken ihrer Anlagen zu bewerten. Stattdessen vertrauen sie auf die Rating-Agenturen sozusagen als ausgelagerte Risikobewerter.

Das Versagen der Rating-Agenturen vor der Finanzkrise

Uns allen in Erinnerung, denke ich, ist das krasse Versagen der Rating-Agenturen im Zusammenhang mit der Finanzkrise 2008. Kurz vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers kam keine Rating-Agentur der Gedanke, Lehman herabzustufen. Sie haben im Vorfeld nichts mitbekommen – so wie alle anderen auch. Der Unterschied ist natürlich: Wir anderen verdienen unser Geld nicht damit, Rating-Noten zu vergeben. Die Agenturen aber schon, und da hätte man sich mehr erwartet.

Mindestens genauso fatal war, dass die Rating-Agenturen den Wertpapieren, die heute allgemein als Finananz-Schrott bezeichnet werden, bis kurz vor dem Zusammenbruch Bestnoten gegeben haben. Gemeint sind die amerikanischen Asset-backed Securities und Collaterized Debt Obligations (CDOs). Anlageformen, die in kürzester Zeit dramatisch an Wert verloren, haben die Rating-Agenturen Bestnoten wie AAA gegeben. Peinlicher geht es nicht.

Risikobewertungen sind Zukunftsaussagen

Damit kommen wir zum Kern des Problems, vor dem die Rating-Agenturen stehen. Wenn sie das Risiko einer Geldanlage bewerten, dann müssen sie eine Aussage über die Zukunft machen. Auch wenn diese Aussage in die Sprache der Wahrscheinlichkeit gekleidet ist. Hier ein paar Beispiele:

  • „AAA“ bedeutet: „Sicherer Anlage, wenn auch leichtes Ausfallrisiko“.
  • „A“ bedeutet: „Die Anlage ist sicher, falls keine unvorhergesehenen Ereignsse dei Gesamtwirtschaft oder die Branche beeinträchtigen“
  • „BBB“ bedeutet: „Durchschnittlich gute Anlage. Bei Verschlechterung der Gesamtwirtschaft ist mit Problemen zu rechnen.“
  • „BB“ bedeutet: „Spekulative Geldanlage. Bei Verschlechterung der Lage ist mit Ausfällen zu rechnen.“
  • „CCC“ beduetet: „Nur bei güsntiger Entwicklung sind keine Ausfälle zu erwarten.“

Man sieht: Jede Rating-Note ist eine Aussage über die Zukunft. Die Frage ist allerdings berechtigt, woher die Rating-Agenturen so etwas wissen können. Haben Rating-Agenturen magische Kristallkugeln oder Mitarbeiter mit übersinnlichen Fähigkeiten?

Die Rating-Agenturen stecken in demselben Dilemma, das jeder Anleger hat: Zukunftsaussagen sind bloß Schall und Rauch. Letztlich wissen wir nichts. So einfach und ernüchternd ist es.

Natürlich wird immer wieder der Anschein erzeugt, dass bestimmte Aktienanalysten, Ökonomen, Börsengurus oder wer weiß wer die besondere Fähigkeit haben, in die wirtschaftliche Zukunft zu blicken. Sieht man sich solche Voraussagen aber systematisch und über einen längeren Zeitraum an, so ist das Ergebnis ziemlich dürftig. Die Trefferquote liegt in etwas bei 50%.  Darüber gibt es zahlreiche wissenschaftliche Studien, so dass es eigentlich verwunderlich ist, dass überhaupt noch irgendjemand solchen Wirtschafts- oder Börsen-Auguren zuhört.

Meine Vermutung ist, dass es ein starkes, natürliches Bedürfnis für uns Menschen ist, etwas über die Zukunft wissen zu wollen. Selbst dann, wenn wir vernünftigerweise zugeben müssen, dass es ein solches Wissen nicht gibt. Es ist einfach angenehm und beruhigend, wenn uns jemand Voraussagen macht. Wir haben irgendetwas, woran wir uns halten können. Wie schrecklich und unerträglich ist es, wenn jemand schlicht sagt: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“.

Zurück zu den Rating-Agenturen. Offenbar bedienen die Rating-Agenturen genau dieses allzumenschliche Bedürfnis, uns Richtlinien für künftige Entwicklungen zu geben. Sie machen Voraussagen oder Prognosen und so geben sie einen (scheinbaren) Halt. Die Welt wird so ein wenig übersichtlicher und leichter zu verstehen.

Die Rating-Agenturen erklären uns, dass bei dem einen AAA-Wertpapiere in der Zukunft mit ziemlicher Sicherheit nichts passieren wird, und bei einem anderen B-Wertpapier, dass hier ein Ausfall wahrscheinlich ist. Kaum jemand fragt: Woher wissen die denn das? Hauptsache, man hat etwas, woran man sich halten kann.

Schlimm nur, wenn man irgendwann erkennt, dass dieser Halt nur scheinbar war, dass wir uns auf etwas verlassen haben, worauf kein Verlass ist, dass die Zukunft eben nicht von den Rating-Agenturen vorhergesagt werden kann. Dann fängt das Gejammere und Geschrei an. Dann wird vom Versagen der Rating-Agenturen gesprochen.

Die traurige Wahrheit ist: Man stellt Erwartungen an die Agenturen, die sie letztlich (wenn man nüchtern darüber nachdenkt) niemals erfüllen können. Die Enttäuschung war vorprogrammiert.

Selbsterfüllende Prophezeiungen

Die Arbeit der Rating-Agenturen hat aber noch einen Aspekt, den ich als unheilvoll ansehe. Gerade Herabstufungen können schnell zu selbsterfüllenden Prophezeiungen werden. Wenn eine Rating-Agentur ein Wertpapier (oder einen Schuldner) eine schlechtere Note gibt, dann ist das, wie gesagt, eine Aussage über die Zukunft. Letzlich sagt die Agentur: „Wir bewerten die Wahrscheinlichkeit, dass der Schuldner irgenwann in der Zukunft ausfällt, höher als bisher.“

Eine solche Aussage kann die Anleger erschrecken. Mit dem Effekt, dass sie diesen Schuldner meiden. Der Schuldner wird sich also schwerer tun als vorher, sich zu refinanzieren. Und diese Refinanzierungesschwierigkeiten können tatsächlich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der Schuldner zahlungsunfähg wird.  So geschehen beispielsweise in der Causa Leo Kirch / Deutsche Bank.

Genau die Gefahr solcher selbsterfüllenden Prophezeiungen – gerade bei Herabstufungen – begründet die Macht der Rating-Agenturen.

1 Kommentar
  1. Rene
    Rene sagte:

    Es ist absolut unverständlich, dass Rating-Agenturen so eine Macht, zumindest aber einen so hohen Einfluss haben. Wer garantiert denn die Richtigkeit des Ratings und wie sieht es mit dem Verantwortungsbewusstsein der Agenturen aus.

    Antworten

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