Nachtrag: Vom richtigen Umgang mit Vergangenheitsdaten
Ich habe letzte Woche von einem richtigen und einem falschen Umgang mit vergangenen Marktdaten geschrieben (siehe hier). Darin sagte ich, dass es grob zwei Arten gibt, vergangene Marktdaten auszuwerten:
- Vergangene Daten werden als Beweis für eine verallgemeinernde Aussage herangezogen;
- Vergangene Daten werden als Beweis für eine Möglichkeits- oder Existenzaussage.
Beispiele für 1. sind:
- „Der Mittelwert von Aktien liegt generell bei 8,2%. So war es in den letzten 30 Jahren, und so wird es auch in Zukunft sein.“
- „Aktien haben immer eine bessere Rendite als Anleihen“
- „Gold steigt immer, wenn die Inflation anzieht.“
- „Wenn man in den 1970er Jahren in Deutschland eine Immobilie gekauft hat, dann hat man daran bis heute sehr gut verdient.“
Letzteres sind Aussagen, die einen allgemeingültigen Zusammenhang behaupten und ihn durch vergangene Marktdaten zu belegen meinen.
Beispiele für Aussagen der zweiten Art sind:
- „Es gibt Perioden, in denen Aktien sehr schlecht laufen. Das zeigt die Vergangenheit. Auch für die Zukunft ist nicht auszuschließen, dass man hin und wieder schlechte Marktphasen haben werden.“
- „Es gab Phasen, bei denen die Inflation zwar anstieg, der Goldpreis aber trotzdem gefallen ist. Auch für die Zukunft ist es denkbar, dass zwar die Inflation anzieht, nicht aber Gold an Wert gewinnen wird.“
- „Es gibt deutsche Immobilien, die jemand in den 1970er Jahren erworben hat, und dennoch eine unbefriedigende Rendite damit erzielt hat.“
Ich halte die Aussagen der ersten Form für problematisch und eigentlich nicht korrekt. Die letztere Art von Aussagen halte ich für zulässig und korrekt.
Der Leser Klaus hat meine Position kritisiert, weil er meinte, dass auch ich in der Anlageberatung Vergangenheitsdaten heranziehen müsste. Ohne das, so meint er, könne man gar nicht Kunden gut beraten. Um noch mal klarzustellen, was genau ich meine, nachfolgender kurzer Beitrag …
Ich möchte nicht missverstanden werden. Natürlich arbeite auch ich in der Anlageberatung mit dem Verweis auf Vergangenheitsdaten. Ich achte aber darauf, nach Möglichkeit keine verallgemeinernden Aussagen zu treffen. Sehr wohl sagen ich aber so etwas wie:
- “Sehr häufig war es so, dass wenn die Inflation gestiegen ist, auch die Tagesgeldsätze steigen.” oder
- “Der DAX ist schon ein paar Mal an einem Tag mehr als 5 Prozent gefallen, auch für die Zukunft ist nicht auszuschließen, dass ein solches Ereignis wieder auftreten wird.“
- „Im langfristigen Durchschnitt lagen Kreditzinsen über 5%. Vor diesem Hintergrund sind die Finanzierungskosten momentan recht niedrig. Und es spricht viel dafür, dass die Kreditzinsen wieder ansteigen werden. Möglicherweise bleiben wir aber noch eine Weile auf dem aktuellen Niveau. Möglicherweise fallen die Kreditzinsen aber noch weiter.“
Der wichtige Punkt an der Stelle ist, dass ich hier keine verallgemeinerden Aussagen aufstelle. Ich behaupte hier auch nicht, dass sich bestimmte Sachen notwendigerweise irgendwie verhalten werden.
In einer Antwort auf einen Kommentar des Lesers Klaus habe ich bereits in etwa folgendes geschrieben:
Es gibt einen umgangsprachlichen Gebrauch von “wahrscheinlich”, der sehr ähnlich dem umgangssprachlichen Gebrauch von “möglich” ist. Ich kann z.B. zu einem Freund sagen: “Wenn du da deine Freundin weiterhin so behandelst, wird sie dich wahrscheinlich verlassen.”
Es gibt aber auch noch einen wissenschaftlich-mathematischen Gebrauch des Wortes “Wahrscheinlichkeit”. Zum Besipiel wenn ich bei einem Würfel sage, dass die “Wahrscheinlichkeit dafür, eine 6 zu würfeln, bei 1/6 liegt.” In diesem Fall kann man von einer klar quantifizierbaren Daten sprechen, von mathematischen Begriffen wie Erwartungswert, Standardabweichung, Wahrscheinlichkeitsverteilung.
Wenn ich meinem Freund sage “Deine Freundin wird dich wahrscheinlich verlassen”, dann habe ich keinen Erwartungswert im Kopf, noch eine Wahrscheinlichkeitsverteilung noch eine Standardabweichung. Ich könnte auch nicht sagen, ob die Wahrscheinlichkeit des Verlassenwerden bei 1/6 oder bei 1/120 liegt.
In meinen Beratungsgesprächen verwende ich umgangssprachlich Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten. Ich stelle aber keine Aussagen über mathematisch-wissenschaftliche Wahrscheinlichkeiten auf, die ich vermeine aus vergangenen Marktdaten entnommen zu haben.
Natürlich kann ich statistisch Vergangenheitsdaten auswerten, und komme dann vielleicht zu dem Ergebenis, dass in 97,2% der Fälle, wenn die Inflation angestiegen ist, auch die Tagesgeldrenditen angezogen sind. Das kann man gerne machen. Das ist für sich genommen auch interessant. Ich wäre halt sehr vorsichtig, diese Zahl auf die Zukunft zu prognostizieren. Nach dem Motto: “Weil das in der Vergangenheit bei einer Quote von 97,2% lag, wird das auch in der Zukunft bei 97,2% liegen.” Das wäre wieder ein Umgang mit Vergangenheitsdaten, den ich für nicht korrekt halte.
Ebenso wenig korrekt halte ich solch eine Aussage: “Weil es in der Vergangenheit mit einer Häufigkeit von 3,27% der Fälle so war, dass der DAX eine Tagesrendite von -5% und schlechter hatte, deswegen wird auch in Zukunft die Wahrscheinlichkeit bei 3,27% liegen, dass die Tagesrendite des DAX bei -5% oder darunter liegt.“
Solche Aussagen gaukeln eine Wissenschaftlichkeit vor, die faktisch nicht da ist. DAS ist mein Kritikpunkt.
Oder eben auch an folgenden Schluss glaube ich nicht: (A) “Weil der DAX in der Vergangenheit durchschnittlich eine Rendite von 8,2% Rendite p.a. erzielt hat, deswegen wird der DAX auch in Zukunft eine durchschnittliche Rendite von 8,2% p.a. haben.”
Wohl aber glaube ich an eine Aussage der Form: (B) “Der DAX hatte in der Vergangenheit eine Rendite von 8,2%, also ist es in der Zukunft möglich, dass er wieder über ein paar Jahre eine durchschnittliche Rendite von um die 8% erzielen wird, das kann aber auch deutlich höher sein oder deutlich darunter, präzise kann das keiner sagen.”
Ich hoffe, dass man sehen kann, dass zwischen der Aussage (A) und der Aussage (B) ein gewichtiger Unterschied besteht. Natürlich verwende ich in meinen Beratungsgesprächen Aussagen der Form (B). Aussagen aber der Form (A) benötigt man nicht in einem guten Beratungsgespräch.
Wunderbar, dann haben wir doch dasselbe gemeint (Wahrscheinlichkeit/Möglichkeit) und nur aneinander vorbei geredet 🙂