Kann man doch in die Zukunft schauen?

Heute (4.1.2010) habe ich einen interessanten Artikel in der Süddeutschen Zeitung auf der Seite Drei gelesen (Autor Reymer Klüver). Es geht darin um den amerikanischen Spieltheoretiker und Zukunftsforscher Bruce Bueno de Mesquita. Er ist Politikprofessor, Senior Fellow an der renommierten Hoofer Institution und Autor zahlreicher Bücher. Er zählt zu den zehn einflussreichsten Politikwissenschaftlern der USA in Sachen Außenpolitik.

Wer schon hin und wieder einen Artikel von mir gelesen hat, weiß, dass ich extrem skeptisch bin, was Zukunftsprognosen gerade bei der Geldanlage bin. Insofern ist Bruce Bueno de Mesquita vielleicht eine interessante Gegenposition, wenn er behauptet „Ja, man kann Zukunft vorhersagen.“ …

In dem SZ-Artikel wird Bruce Bueno de Mesquita mit den folgenden Worten zitiert:

„…, dass jeder, der sich über die Umstände eines bestimmten Sachverhalts ausreichend informiert und sich in Logik und Mathematik auskennt und einen Computer hat, herausfinden kann, wie Menschen sich verhalten werden.

… man müsse nur die erklärten Absichten derjenigen kennen, die mit von der Partie sind in den politischen Spielchen, und schon könne man mit Hilfe eines Computermodells berechnen, wie das Spiel ausgehen wird.

[Bueno de Mesquita] geht davon aus, dass mit Ausnahme kleiner Kinder und Schizophrener alle Menschen im Prinzip rational handeln, sogar Selbstmordattentäter: Sie tun das, von dem sie glauben, dass es ihren Interessen am meisten nützt – egal ob es am Ende tatsächlich der Fall ist. „

Immerhin scheint Bueno de Mesquita eine sehr hohe Trefferquote zu haben. Nach eigenen Aussagen lag er bislang in 9 von 10 Fällen richtig. Auch die CIA und die amerikanische Regierung glaubt an seine Fähigkeiten.

Liege ich also falsch, wenn ich Kapitalmarktprognosen rigoros ablehne? Und sie für ein vollkommen untaugliches Mittel bei der Geldanlage beschreibe? (siehe z.B. diesen Artikel)

Sehen wir uns die Methode des Spieltheoretikers Bueno de Mesquita genauer an. In der SZ wird es in folgenden Schritten beschrieben:

  1. Wer sind die wichtigsten Beteiligten?
  2. Was sind ihre Absichten bei dem „Spiel“?
  3. Welchen Einfluss haben die Beteiligten auf die Angelegenheit?
  4. Diese Daten gibt Bueno de Mesquita in ein Computer-Modell und lässt den Computer eine Unzahl von Möglichkeiten durchrechnen.
  5. Am Ende kommt er zu einem Ergebnis, das er für am wahrscheinlichsten hält.

Die Frage an dieser Stelle ist, ob sich dieses Verfahren auf die Kapitalmärkte übertragen lässt. De Mesquita beschäftigt sich in der Regel mit politischen Fragestellungen. Und hier gibt es sicherlich einige Beteiligte, aber niemals so unübersichtlich viele wie an den Kapitalmärkten. 

Und selbst wenn man die zig-tausenden Beteiligten, die bei dem Spiel „Kapitalmarkt“ mitmachen, herausgefunden hat, halte ich es für zweifelhaft, deren Absichten eindeutig zu bestimmen. Das Problem ist nämlich, dass – meiner Erfahrung nach – sich die Absichten eines Marktteilnehmers im Laufe der Zeit drastisch verändern kann. Wem noch heute vor allem hohe Renditen wichtig sind, spricht morgen vielleicht nur noch von Sicherheit. Und umgekehrt.

Ich muss hier noch nicht einmal mit der oft zitierten Irrationalität der Märkte argumentieren. Wie gesagt, Bueno de Mesquita geht von der Rationalität der Menschen aus. Aber selbst das, was einem heute als vernünftig und sinnvoll erscheint, wird gerade bei Kapitalanlegern schneller über Bord geworfen als man denkt.

Durch die große Anzahl der Marktteilnehmern und deren – wie ich glaube – im Zeitverlauf sich verändernden Absichten, kann ich mir nicht vorstellen, dass es irgendeinen Computer gibt, der dieser immensen Komplexität gewachsen ist.

Davon abgesehen, dass die eigentliche Gefahr an den Kapitalmärkten komplett unvorhersehrbare, man könnte sagen zufällige Ereignisse sind. Beispiele hierfür sind die Enron-Pleite oder die Terror-Anschläge vom 11. September 2001. Solche Ereignisse kann man unmöglich in die Computer-Modelle mit einbauen.

Selbst mit den besten Methoden lassen sich nur die Wahrscheinlichkeiten abschätzen, dass bestimmte zukünftige Dinge eintregen werden oder nicht. Auch de Mesquita behauptet nicht, eine absolute Sicherheit bei seinen Prognosen zu haben. Tatsächlich lag er auch schon oft genug daneben. Beispielsweise sagte er voraus, dass Clintons Gesundheitsreform ein Erfolg werden würde. Oder dass China nach dem Übernahme Hongkongs sehr schnell die Pressefreiheit beseitigen würde.

Diese Restunsicherheit genügt bereits, dass sich ein Kapitalanleger nicht sicher genug fühlen kann, um alles auf eine Karte zu setzen. Vielmehr muss er, wenn er rational handeln will, vor allem auf zwei Dinge achten:

  • Diversifikation
  • Risiko-Management.

Und hier kommen wir zum eigentlichen Problem. Viele Anleger fühlen sich zu sicher mit ihren Annahmen über die Zukunft. Und weil sie sich so sicher fühlen, schmeißen sie genau diese beiden Dinge über Bord. Sie achten nicht auf Diversifikation, sondern setzen einen Großteil ihres Vermögens auf eine Karte.

Und sie denken nicht über Risiko-Management nach. Denn Risiko-Management bedeutet, sich Strategien zu überlegen für den Fall, dass es anders kommt als erwartet.

Unterm Strich, so meine Meinung, schaden Prognosen bei der Geldanlage mehr, als sie nutzen. Und diejenigen Kapitalmarkt-Propheten sind am gefährlichsten, die bereits häufig richtig lagen.

3 Kommentare
  1. Klaus
    Klaus sagte:

    Der Herr mit dem schwer auszusprechenden Name war vor ein paar Monaten auch zu Gast in John Stewarts The Daily Show, das Video kann man sich hier anschauen:
    http://www.thedailyshow.com/watch/mon-september-28-2009/bruce-bueno-de-mesquita

    Davon abgesehen glaube ich nicht, dass die Rechenkapazitäten der Computer die limitierende Größe bei der Anwendung seines Modells auf Kapitalmärkte ist. Eher dürfte das die Erhebung der Daten sein, auf deren Basis die Berechnung dann ablaufen soll.

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    • peterreins
      peterreins sagte:

      Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich möchte Ihnen noch darlegen, warum die Komplexität durchaus eine Rolle spielt.

      Nehmen wir an, es gäbe (nur) 100.000 Marktteilnehmer auf dem weltweiten Kapitalmarkt. Nehmen wir weiter einen beliebigen Börsentag X an, für den jeder Marktteilnehmer für sich die Entscheidung treffen kann, entweder „JA, ich kaufe heute Aktien“ oder „NEIN, ich kaufe heute keine Aktien“. Ich hoffe, Sie stimmen mir zu, dass bereits das eine starke Vereinfachung der Realität ist. Tatsächlich gibt es erstens mehr Marktteilnehmer und zweitens können sie sich auch für ganz andere Anlageformen wie beispielsweise Staatsanleihen oder Immobilien etc. entscheiden.

      Um alle Entscheidungsmöglichkeiten in diesem Modell nur für diesen einen Börsentag X durchzurechnen, bedarf es 100.000 hoch 2 Rechenschritte. Das sind 10 Milliarden Rechenschritte. Jetzt nehmen wir einmal an, ein Rechenschritt dauert für einen Computer eine Tausendstel Sekunde. Dann benötigt dieser Rechner für diese Aufgabe 166.666 Stunden oder 6.944 Tage oder 19 Jahre.

      Also 19 Jahre Rechenzeit alleine für einen (vereinfachten) Börsentag. Ich glaube schon, dass man hier am Limit ist, natürlich nicht was den Computer selbst betrifft. Den interessiert es ja nicht, wie lange er arbeiten muss. Sondern man ist hier nach menschlichem Ermessen an der Grenze. [Nur am Rande bemerkt: ich habe meine mathematische Diplomarbeit über Komplexitätstheorie geschrieben.]

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