j0200543Ich habe eben Robert J. Shillers Buch „Irrationaler Überschwang“ zu Ende gelesen. Ein wirklich hervorragendes Buch. Er hat es im Jahre 2000 veröffentlicht, damals unter dem Eindruck des Internet-Börsenbooms.

Bemerkenswert ist, dass man seine Thesen, wie ich meine, exakt auch auf die heutige Situation anwenden kann, nur mit umgekehrten Vorzeichen …

Auf Seite 231  schreibt Robert J. Shiller:

„Die derzeitige [um das Jahr 2000] hohe Bewertung der Aktien ist unbegründet. Das Niveau der Börse repräsentiert nicht, wie viele glauben, den Konsens von Fachleuten … Die hohen Kurse gehen vielmehr auf das mäßig engagierte Denken von Millionen von Menschen zurück, die nur zum geringsten Teil den langfristigen Anlagewert … herausarbeiten. Die meisten lassen sich im Wesentlichen von ihren Gefühlen, Zufallsbeobachtungen und Gemeinplätzen leiten. Ihr allzumenschliches Verhalten wird stark von den Medien beeinflusst … [meine Hervorhebungen]“

Auf unsere heutige Situation übertragen würde die Passage lauten:

Die heutige [um das Jahr 2009niedrige Bewertung der Aktien ist unbegründet. Das Niveau der Börse repräsentiert nicht, wie viele glauben, den Konsens von Fachleuten … Die niedrigen Kurse gehen vielmehr auf das mäßig engagierte Denken von Millionen von Menschen zurück, die nur zum geringsten Teil den langfristigen Anlagewert … herausarbeiten. Die meisten lassen sich im Wesentlichen von ihren Gefühlen, Zufallsbeobachtungen und Gemeinplätzen leiten. Ihr allzumenschliches Verhalten wird stark von den Medien beeinflusst …“

Shiller arbeitet klar heraus, dass die wirtschaftlichen Fakten einen viel unspekakuläreren und stetigeren Verlauf der Börsenkurse nahelegen würden. In Boom-Phasen sind Unternehmensgewinne und Dividenden zwar  gestiegen. Aber nicht so stark, dass sie deutlich mehr gestiegenen Kurse rational rechtfertigen könnten.

Und dasselbe auch wieder umgekehrt. In Crash-Phasen sind die Unternehmensgewinne und Dividenden nicht so stark gefallen, dass sie die dramatischen Kursrückgänge rechtfertigen würden.

Die Schlussfolgerung: Die Entwicklung der Börsenkurse hat sehr wenig mit rationalen, wirtschaftlichen Überlegungen zu tun.

Nach Shiller treffen Menschen ihre Anlageentscheidungen fast nie aufgrund sorgfältiger Recherchen und Analysen. „Stattdessen wollen Menschen möglichst keine Zeit und Mühe verschwenden, indem sie sich ein eigenes Urteil … bilden …“ (S. 177). Insofern ist es auch ein durchaus rationales Verhalten. Die Leute hören auf das, was andere sagen, und richten sich nach der Mehrheitsmeinung oder der Meinung vermeintlicher Autoritäten. Wenn alle sagen, dass …, will man nicht als dummer Außenseiter dastehen und das Gegenteil behaupten. Sich der Meinung von (vermeintlichen) Experten oder der Mehrheit anzuschließen, ist eine effiziente und durchaus rationale Weise, sich eine Meinung zu bilden. Gerade bei der Geldanlage gerät man so allerdings immer wieder auf Abwege.

Interessant ist auch diese Beobachtung Shillers. Relativ häufig reagieren die Börsen nicht auf Ereignisse, die an sich wichtig für die Gewinnerwartungen von Unternehmen wären. Was die Börsenkurse viel mehr beeinflusst sind gute, einprägsame, erzählbare Geschichten. Stories. Dinge, die sich die Leute erzählen können, sie begeistern oder ängstigen, irgendwelche Gefühle auslösen. Und sich deswegen wie ein Lauffeuer verbreiten.

Beispielsweise damals die Stories von hochfliegenden Unternehmen vom Neuen Markt oder von Internet-Firmen. diese Firmen hatten außer netten Geschichten wirtschaftlich so gut wie nichts vorzuweisen. Oder heute die Geschichten von einem totalen Kollaps des Wirtschaftssystem. (Auch wenn wir haarscharf, wie wir heute wissen, am 29.09.08 an einem schweren Desaster vorbeigeschrammt sind, so sind diese Geschichten vor allem über die Maßen an den Haaren herbeigezogen und übertrieben. Aber sie lösen Ängste aus und sind gut erzählbar.)

Interessant ist auch, was Shiller über extreme Börsenphasen schreibt. Anleger glauben von Zeit zu Zeit daran , dass ein vollkommen neues Zeitalter angebrochen ist (auch eine nette erzählbare Geschichte). Auf Seite 124 schreibt er z.B. mit Bezug auf den Boom der 1920er Jahre:

„Die zwanziger Jahre charakterisiert ein rapides Wirtschaftswachstum und insbesondere die Verbreitung von technischen Neuerungen … Der Siegeszug des Automobils begann … Damals erreichte die Elektrifizierung das Land …Staubsauger … Wachmaschinen … Auch das Radio gehörte bald zum Alltag … Parallel zum Gipfelsturm der Börse kam in den zwanziger Jahren das Schlagwort vom neuen Zeitalter in Mode … „

Auch in der Hausse-Phase in den 1950er und 1960er Jahren glaubten die Menschen, dass eine neue Ära immerwährender Glückseligkeit auf Erden angebrochen ist.

Und an die 1990er können sich manche noch erinnern: Damals glaubten viele, dass mit der damals so genannten „New Economy“ ab sofort die Wirtschaftszyklen keine Rolle mehr spielen würden.

Aber dasselbe gilt auch, natürlich mit umgekehrtem Vorzeichen, für uns heute. Es gibt derzeit Heerscharen von Menschen, die glauben, dass mit der aktuellen Krise im negativen Sinne etwas vollkommen Neues begonnen hat. Nicht wenige glauben, dass unser kapitalistisches System als Ganzes vor dem Aus steht. Oder dass wir erst am Anfang eines sehr lang andauernden Tals der Tränen stehen. Dass Dinge sich so nachhaltigen negativ ändern würden, wie wir sie uns kaum vorstellen können. Die Crash-Propheten lassen grüßen und erfreuen sich ihrer Hochkonjunktur.

In den den Hausse-Phasen, wie beispielsweise den 1920er oder 1990er Jahren, waren viele der Meinung, dass Aktien ohne Zweifel und mit Sicherheit die beste Geldanlage sind. Heute machen viele Leute einen großen Bogen um Aktien und trauen diesem Anlagesegment nicht mehr viel zu.

Das eine wie das andere ist übertrieben und falsch. Aber wie kommt es, dass immer wieder, ob in die eine oder andere Richtung, an der Börse so übertrieben wird?

Shillers Antwort: durch Rückkoppelungseffekte, die insbesondere durch die Medien verstärt werden. Die Kurse ziehen an. Die Masse der Anleger ist noch skeptisch. Die Kurse steigen weiter. Jetzt steigen schon die ersten ein, weil die Kurse gestiegen sind (also nicht aufgrund wirtschaftlicher Fundamentaldaten, sondern aufgrund des Kursverlaufs selbst). Schließlich stecken sie die Menschen sozusagen gegenseitig an. Wie ein Seuche verbreitet sich das Börsenfieber. Jeder will dabei sein. Das treibt die Kurse noch weiter und verstärkt noch einmal die Attraktivität der Börse.

So viele Menschen können sich einfach nicht irren, möchte man glauben, und kauft nach. Der einzelne kann sich kaum dagegen wehren, nach und nach die Meinung der Mehrheit zu übernehmen. Das ist der Rückkoppelungseffekt: Weil die Aktienkurse gestiegen sind, kaufen alle Aktien (was die Kurse dann noch weiter treibt). Von gut überlegten, rationalen Anlageentscheidungen keine Spur.

Und … dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt mit negativem Vorzeichen. Irgendetwas Negatives hängt in der Luft. Ein paar Anleger verkaufen, wollen auf Nummer Sicher gehen. Tatsächlich fallen die Kurse ein wenig. Und plötzlich dreht die Stimmung. Weil es Kursverluste gab, verkaufen jetzt plötzlich die Leute. Das ist der negative Rückkoppelugnseffekt. So verstärkt sich selbst der Abwärtstrend und die Medien tun das Ihre dazu. Fertig ist die Baisse.

Beides, Baisse wie Hausse, sind in ihrer Dramatik zumeist nicht anhand der Veränderungen der Unternehmensgewinne oder Dividendenzahlungen nachvollziehbar.

Ein nettes Video, wie ein Trend entsteht, habe ich hier veröffentlicht: Link dorthin.

3 Kommentare
  1. Manfred
    Manfred sagte:

    Dieses Phänomen der Rückkoppelung, wie es Shiller beschreibt, ist unter Börsianern bekannt unter der stehenden Redewendung „sie laufen alle wie die Lemminge in die selbe Richtung“. Und in Ihrem Blog-Beitrag vom 16.06., den ich übrigens sehr gut fand, beschrieben Sie schon mal das prozyklische Verhalten der Masse der Anleger am Kapitalmarkt, dem man sich in der Tat nur schwer entziehen kann.

    Lemminge sind übrigens eine Art Wühlmäuse, die vor allem in klimatisch kälteren Zonen leben.

    Antworten
  2. Mex
    Mex sagte:

    Der Eintrag ist sehr gut und verständlich geschrieben. Ich bin hier ganz Ihrer Meinung. Jedoch wird sich der ein oder andere denken:

    “Die derzeitige [um das Jahr 2000] hohe Bewertung der Aktien ist unbegründet.
    Die heutige [um das Jahr 2009] niedrige Bewertung der Aktien ist unbegründet.

    und warum nicht

    Die heutige [um das Jahr 2009] Bewertung der Aktien ist begründet…..

    Antworten
    • peterreins
      peterreins sagte:

      Nehmen wir als Beispiel den DAX. Dieser Index ist seit Anfang 2008 um 39% gefallen. Bei http://www.onvista.de kann man die Dividenden pro Aktie und das betriebswirtschaftliche Ergebnis pro Aktie für jeden DAX-Wert nachsehen. Und zwar die tatsächlichen Werte des Jahres 2008 und die geschätzten Werte für 2009. Hier ist das Beispiel für Beiersdorf AG: Link dorthin.

      Ich habe mir die Mühe gemacht und habe für die 30 DAX-Aktien diese Zahlen herausgeschrieben. So kann man beispielsweise für Beiersdorf nachlesen:
      Ergebnis in 2008: 2,23 Euro pro Aktie
      Geschätztes Ergebnis in 2009: 1,73 Euro pro Aktie.
      Das ist ein Rückgang des wirtschaftlichen Ergebnisses dieser Aktie um -22%. Der Aktienkurs ist aber mehr als 34% gefallen.

      Hier die Dividenden von Beiersdorf.
      Dividende in 2008: 0,90 Euro pro Aktie
      Geschätzte Dividende in 2009: 0,76 Euro pro Aktie.
      Das wäre dann ein Rückgang der Dividende um -16%. Auch das rechtfertigt nicht den Kursückgang der Beiersdorf-Aktie um 34%.

      Bildet man einen Durschnitt über alle DAX-Aktien, dann ergibt sich folgendes:
      Durschnittlicher Rückgang des Ergebnisses von 2008 auf 2009: -6%.
      Durschnittlicher Rückgang der Dividende von 2008 auf 2009: -13%.
      Wir erinnern uns. Der DAX ist in diesem Zeitraum fast 40% gefallen. Durch die Veränderung der fundamentalen Unternehmensergebnisse oder die Veränderung der Dividendenausschüttungen ist dieser Rückgang nicht erklärbar. Bzw. darauf bezogen ist der Rückgang über die Maßen übertrieben.

      Oder anders formuliert, denke ich, kann man behaupten: Die Kursbewegungen im Laufe des Jahres 2008 bis heute haben herzlich wenig mit Unternehmenszahlen zu tun, sondern mit irgendwelchen anderen Dingen. Und hier ist sicher ein gutes Erklärungsmodell, dass viele Anleger glauben, dass mit der aktuellen Krise ein ganz neues (schlechtes) Zeitalter begonnen hat. Dieser starke Rückgang der Aktienkurse ist nur dadurch erklärbar, dass viele Menschen meinen, dass es „nie wieder“ etwas mit den Aktien wird. Und wenn man sich herumhört, das ist tatsächlich bei vielen Anlegern die Stimmungslage.

      Genauso, wie die große Masse der Anleger um 2000 glaubte, dass ein neues Zeitalter begonnen hat, indem die Konjunkturzyklen ausgeschaltet sind und es nur noch nach oben gehen wird. Das eigentlich Verrückte an der Börse ist der Glaube, dass ab heute aus irgendeinem Grunde plötzlich alles anders ist als vorher.

      In diesem Zusammenhang noch ein Zitat von den von mir sehr geschätzten Robert J. Shiller: „… die übliche Interpretation, die die Medien für die Fluktuation der Charts liefern – dahinter stünden kurzfristige Aussichten für den Wirtschaftskreislauf – geht völlig in die Irre. Die Aussicht, dass eine vorübergehende Rezession am Horizont steht, sollte [für einen rationalen Geldanleger] überhaupt keine Auswirkung auf die Börse haben …“ [meine Einfügungen und hervorhebungen].

      Der Punkt ist eben erstens, dass die Leute, wenn einmal eine Rezession da ist, fast immer meinen, dass sie NICHT vorübergehend ist. Sondern immerwährt. Und zweitens ist die große Masse der Anleger nicht rational. Jedenfalls zieht die Erklärung nicht, „die Kurse fallen, WEIL die Gewinnaussichten sich eintrüben“.

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